Brötzmann: 70
Das Dumme sei, dass man jenes laute, widerständige Image ein Leben lang nicht los werde und viele Leute immer nur das eine erinnern würden. Die hätten die leisen und sanften Balladen wie Ornette Colemans „Lonely Woman“ gar nicht mitbekommen, über die er auf der FMP-Platte „14 Love Poems“ improvisierte. Ohne Monk und die Tradition sei er nichts, sagt Peter Brötzmann. Der Künstler, Labelgründer, Konzertorganisator und Bandleader wurde in Remscheid geboren, in Wuppertal studierte er Kunst und jobbte als Grafiker. Ab 1962 spielte er regelmäßig mit dem Bassisten Peter Kowald im Trio. Das Image sei ihm eigentlich immer egal gewesen, sagt der Saxofonist, der mit Lederjacke auftrat und seine Platte „Machine Gun“ nannte, als die meisten Kollegen noch in braven Anzuguniformen auf der Bühne standen.
1968 revolutionierte er längst nicht nur das deutsche Jazzleben, er übersetzte die amerikanische Musik eines Ornette Coleman, John Coltrane und Alber Ayler ins Europäische. In jenem „Machine Gun“-Jahr war Brötzmann auch der Protagonist des ersten Total Music Meetings, das sich als eine Gegenveranstaltung zu den damaligen Berliner Jazztagen verstand. 1973 nahmen Brötzmann, Fred van Hove und Han Bennink bei Radio Bremen das Einheitsfrontlied von Hanns Eisler auf. Nach der Doppelsingle „Free Jazz und Kinder“ kam auch diese Aufnahme bei FMP als Single heraus.
Die Chicagoer Szene lernte er über seine New Yorker Kontakte kennen. Den Bassisten William Parker, der zusammen mit seiner Frau Patricia das Vision Festival auf die Beine gestellt hat, kennt Brötzmann von Anfang an. Heute ernte er die Früchte seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Andrew Cyrille oder Cecil Taylor, die frühen Jahre zahlen sich für ihn in den Staaten ganz gut aus. Doch ohne den missionarischen Eifer eines Sam Rivers oder Cecil Taylors drohe die Welt ärmer zu werden, sagt Brötzmann, der von Irène Schweizer einst als „Vater des deutsche Free Jazz“ bezeichnet wurde. Im April ist er mit seinem Chicago Tentet auf Europa-Tour, im Juni wird er beim New Yorker Vision Festival mit einer Carte Blanche für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Am 6. März wird Peter Brötzmann 70 Jahre alt.