Sun Ra: 100
Am 22. Mai wäre Herman „Pool“ Blount alias Sun Ra 100 Jahre alt geworden. Dieser exzentrische Keyboarder und Leader des Sun Ra Arkestra verstörte zeitlebens die Jazz-Community. Für die einen war er ein Scharlatan, der mit seinem oft als krude bezeichneten „Space Jazz“, seinen auf den ersten Blick absurden Kostümen und seinen das Publikum verwirrenden Bühnenshows nur seine esoterisch mystische Philosophie unter die Leute bringen wollte. Für die anderen war Sun Ra ein Meister auch der musikalischen Camouflage, der mit seiner Big Band verschiedene Traditionslinien nicht nur der afroamerikanischen Musik verarbeitete und in seinem „Space Jazz“ Big-Band-Swing und (Free-)Jazz, Funk und Soul, Rock und auch ethnische Musik integrierte. „Weil ich über all diese Dinge wie das Weltall und die Planeten geredet habe, glaubten viele, ich sei irgendwie durchgeknallt“, sagte er einmal dem Jazziz-Magazin, „ich spreche immer noch davon, aber inzwischen geben Regierungen Millionen von Dollar aus, um auf die Venus zu gelangen, den Mars oder andere Planeten. Es ist also nicht mehr verrückt, über das Weltall zu sprechen.“
Rund um den 100. Geburtstag von Sun Ra (1914-1993) ist einiges geplant, um an diesen Solitär zu erinnern. Allen voran ist das Sun Ra Arkestra auf Europatournee. Unter der Leitung des Saxofonisten Marshall Allen, der übrigens am 25. Mai 90 Jahre alt wird, führt das Arkestra das Erbe ihres einstigen Leaders fort – unter anderem mit Konzerten bei den Festivals in Moers und im österreichischen Nickelsdorf, im Jazzclub Regensburg und im Wiener Porgy & Bess. Am 25. Mai gibt es dann im Kölner King Georg einen Vortrag von Frank Theweleit. „In den 50er-Jahren bekennt er sich zu seinem richtigen Namen: Sun Ra, und verkündet die Botschaft der schwarzen Außerirdischen“, heißt es in der Ankündigung. „Seine Musik – sein ,Super Sonic Jazz‘ –, die er in immer größeren Gruppen ausprobiert, bis er schließlich seine Arche Noah – das Arkestra – entworfen hat, spricht von extremer Entfremdung, Entwurzelung und Heimatlosigkeit und gleichzeitig von der Sehnsucht nach einem neuen Geschlecht, einer neuen Gattung, die alle Beschränkungen des menschlichen Daseins hinter sich lässt.“
Das an Dada angelehnte, Avant-Avantgarde-Magazin „Das dosierte Leben“ bringt zum 100. Geburtstag ein 76-seitiges Sonderheft heraus: Mit Beiträgen in Wort (Prosa und Poesie) und Bild (Collage und Zeichnung) wird Sun Ra aus verschiedenen Perspektiven gewürdigt – unter anderem mit dem Leiter des Darmstädter Jazzinstituts, Wolfram Knauer, und Hans-Jürgen Schaal als Autoren. Auch das moers festival widmet dem Exzentriker zwei Artikel auf seiner Website. Bereits veröffentlicht ist eine Erinnerung von Stefan Hentz an das denkwürdige Konzert des Sun Ra Arkestras in Moers 1979, kurz vor Pfingsten wird ein Text veröffentlicht, in dem sich Wolf Kampmann Gedanken über die Bedeutung des Arkestras für die Musik von Heute macht.
Weiterführende Links:
Sun Ra Arkestra
„Das dosierte Leben“
moers festival „Features“