100: Billie Holiday
Die seltsamen Früchte, die in „Strange Fruit“ von den Bäumen hängen, sind menschliche Körper gewesen: die Körper amerikanischer Schwarzer. Die Firma Columbia Records, bei der Billie Holiday 1939 unter Vertrag war, weigerte sich, den Song zu veröffentlichen; er erschien dann bei dem kleinen linksorientierten Plattenlabel Commodore Records. Ein Foto von Anfang der 1930er-Jahre, das eine Lynchszene zeigt, hatte den weißen jüdischen Lehrer Abel Meeropol inspiriert, dieses Stück für Billie Holiday zu schreiben. Für Holiday, die sich selbst nie als Protestsängerin sah, wurde „Strange Fruit“ nicht nur zu ihrem Erkennungssong, durch ihn schuf sie eine ganz neue Plattform für Jazzkünstler, die die Notwendigkeit verspürten, die Gesellschaft zu kritisieren und Missstände anzuprangern. Ihre Version von „Strange Fruit“ legte die Spur für große Widerstandssongs wie „Fables Of Faubus“, „The Revolution Will Not Be Televised“ und „Fight The Power“. Noch vor 20 Jahren, während eines längeren Gesprächs in Eisenach, bezeichnete der Schlagzeuger Max Roach diesen Song als dringendes revolutionäres Statement.
Immer wieder gab es neue Einspielungen, aus gegebenem Anlass – Billie Holiday wäre am 7. April 100 Jahre alt geworden – kommen dieser Tage einige hinzu. Die darunter aktuell eindringlichsten Versionen, gerade auch eingedenk der jüngsten amerikanischen Rassismusdiskussion, kommen von Cassandra Wilson und José James. Wilson wird ihr Billie-Holiday-Tribut „Coming Forth By Day“ am 10. April im New Yorker Apollo Theater aufführen, James wird seine Holiday-Hommage „Yesterday I Had The Blues“ am 27. März im Berliner Apple Store und am 10. Mai beim Berliner XJAZZ-Festival vorstellen.