RIP: Ornette Coleman
Charlie Haden und Patti Smith gehörten schon seit vielen Jahren zu seinen Herzensgästen und sie kamen auch zu seiner informellen Geburtstagsparty, die er im Sommer 2009 auf der Bühne der Londoner Royal Festival Hall gab. Ornette Coleman fühlte sich mit der Leitung des einwöchigen Londoner Meltdown Festivals besonders geehrt und bemühte sich in einem einzigartigen Programm dort so unterschiedliche Bands wie The Roots, Patty Smith, Yoko Ono Plastic Ono Band und Charlie Haden’s Liberation Music Orchestra mit seiner eigenen Musik-Welt in Einklang zu bringen.
An Auszeichnungen mangelte es dem Künstler, der die amerikanische Musikgeschichte vor 55 Jahren in eine neue Richtung steuerte, nicht. Doch als er begann, wollte keiner etwas von ihm wissen. In den 1950er-Jahren lebte er in Los Angeles, arbeitete dort unter anderem auch als Fahrstuhlführer. Wenn er bei einer Jam-Session aufkreuzte, verließen die Musiker nach und nach die Bühne, so radikal anders wie sein Plastiksaxofon klang, irritierte viele auch die äußerliche Erscheinung. Coleman trug bereits lange Haare und Bart, als Dreadlocks noch lange nicht in Mode waren. Am Ende des Jahrzehnts setzte der Autodidakt mit seinem legendären „Free Jazz“-Quartett im New Yorker Jazzclub Five Spot neue Standards für den Jazz. Und das in jeder Hinsicht. Er komponierte außerdem Streichquartette, Holzbläserquintette, Stücke für Ballett und Symphonieorchester, in den 1980er-Jahren nahm er mit Pat Metheny das berühmte Album „Song X“ auf und mit Jerry Garcia „Virgin Beauty“.
„Ich bin an menschlichen Qualitäten, Wertvorstellungen und Empfindungen interessiert, die unabhängig von der jeweiligen Hautfarbe der Akteure sind“, sagte er dem Autor beim Gespräch in New York. Coleman wurde am 9. März 1930 in Fort Worth, Texas, geboren und wuchs in einem rassistischen Spannungsfeld auf, die Zeit der Segregation wollte er in seiner Musik schon lange vor deren gesetzmäßiger Abschaffung überwunden haben. „Ich habe mir selbst beigebracht, mein Instrument zu spielen, zu komponieren und wie man Sachen macht, die Männer so tun. Ich muss Fehler, die mir unterlaufen, nicht kaschieren.“ Vagina und Wahrhaftigkeit, Glaube, Kapitalismus und Liebe spielten in seiner Begriffswelt ganz große Rollen. In dem 1986 veröffentlichten Film, „Ornette: Made In America“, erzählte er, warum er sich vom Sex einst durch Kastration habe befreien wollen, und dass der Arzt ihm zur Beschneidung riet. Die Filmemacherin Shirley Clarke montierte dazu Bilder von der ersten Mondlandung.
Nach seinem Comeback mit der Live-CD „Sound Grammar“, 2005 beim Enjoy Jazz Festival im BASF Feierabendhaus in Ludwigshafen mitgeschnitten, wurde er 2007 mit einem „Grammy“ und dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Für Coleman hatte die von ihm erfundene Klang- und Farbengrammatik, Harmolodics genannt, mit der Fähigkeit zu tun hat, die Vorstellung von etwas Schönem lebendig werden zu lassen. Sein musikalisches System basierte darauf, dass er mit anderen teilen wollte. „Wenn ich beschreiben könnte, was ich fühle, wäre die Welt ein Ort des Glücks. Jazz ist improvisierte Musik“, sagte er, „und von der feinsten Qualität, die Natur des Menschen in Klang auszudrücken“. Am 11. Juni ist dieser Klang verstummt, Ornette Coleman wurde 85 Jahre alt.
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Ornette Coleman