RIP: Gato Barbieri
Es war nicht die erste Filmmusik, die der Saxofonist Gato Barbieri komponierte. Doch sein von der Musik seiner Heimat Argentinien beeinflusster Soundtrack für den Film „Der letzte Tango in Paris“ des italienischen Regisseurs Bernardo Bertolucci 1972 mit Marlon Brando und Maria Schneider in den Hauptrollen machte ihn über Nacht berühmt – nicht nur, weil dieser heute als Klassiker bezeichnete Film vor gut 40 Jahren wegen seiner sexuellen Handlung ein Skandal war, sondern auch, weil Barbieri mit seinem Soundtrack, der erst während des Filmschnitts entstand, den Rückzug der beiden Protagonisten aus der Welt in einen „Raum des Eros“ kongenial in Musik zu übersetzen wusste: mit den Mitteln des Tangos ebenso wie mit seinen Rückgriffen auf die Ausdrucksmöglichkeiten des amerikanischen (Free) Jazz der 1960er-Jahre. Für seine klangmächtige Filmmusik wurde er dann mit einem „Grammy“ ausgezeichnet.
Leandro „Gato“ Barbieri, 1932 im argentinischen Rosario geboren, machte Anfang der 1950er-Jahre seine ersten Karriereschritte im Orchester seines Landsmanns Lalo Schiffrin. Zum ersten Mal mit der jazzmusikalischen Avantgarde kam er 1962 in Berührung, als er einige Jahre in Europa lebte und unter anderem mit Don Cherry zusammenarbeitete. Cherry war es auch, der Barbieri überredete, mit ihm nach New York zu gehen; damals der Nukleus für den Free Jazz. In der Jazzszene der Metropole an der amerikanischen Ostküste konnte er sich rasch durchsetzen: Der Tenorsaxofonist wurde Mitglied im Jazz Composer’s Orchestra und spielte in Charlie Hadens Liberation Music Orchestra. Sein stets zwischen expressivem Ausdruck und polyglotter Lyrik changierender Ton auf dem Tenor brachte ihm dann seinen Spitznamen ein: „Gato“, auf Deutsch: Kater. Damals besann er sich auch auf seine eigenen musikalischen Wurzeln. Die vier zwischen 1973 und 1975 auf dem Impulse!-Label veröffentlichten Platten, „Latin America“, „Hasta Siempre“, „Viva Emiliano Zapata“ und „Alive In New York“, zeigten einen Instrumentalisten, Bandleader und Komponisten, der die teils archaische Folklore seiner Heimatstadt Rosario mit Tango und Jazz mischte, ohne darauf zu achten, ob es Brüche gab oder nicht: hochemotional und expressiv, polyrhythmisch und multistilistisch.
Danach wurde es ruhiger um den Tenorsaxofonisten. Er komponierte zwar noch die ein oder andere Filmmusik – etwa für „Stranger’s Kiss“ 1982 –, doch im Studio und live auf der Bühne war Barbieri nur noch selten zu treffen. Auch stilistisch machte er einen Häutungsprozess durch: Statt seiner teils kruden und wilden Mixtur vergangener Tage verschaffte sich nun ein oft glatter, überproduzierter Smooth-Jazz Raum, selbst sein so persönliches Timbre und seine eloquente Phrasierung auf dem Tenorsaxofon verloren ihre Ecken und Kanten. Eine Ahnung davon, wie Barbiere einst geklungen hatte, zeigte er ansatzweise auf seinem aktuellen Album „New York Meeting“, auf dem er seine Qualitäten als Tenorist vor einem straight-ahead gespielten Mainstream-Jazz noch einmal aufblitzen ließ. Das Album sollte seine letzte Veröffentlichung sein: Am 2. April ist Gato Barbieri im Alter von 83 Jahren in New York gestorben.
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