Neues Buch: Irène Schweizer
„Zürich im Februar 2013. Es ist ein klarer, kalter Wintertag, im Hintergrund sind die Alpen zu sehen. Vom Hauptbahnhof, sagt sie, solle ich am besten mit der Tramlinie 3 Richtung Albisrieden fahren. Das sind fünf Stationen. Ich bin pünktlich und sie erwartet mich bereits an der Haltestelle Kalkbreite: Irène Schweizer, Pianistin, Avantgardistin und Ikone der Schweizer und europäischen Free-Jazz-, Antiapartheid- und Frauenbewegung.“ Überaus persönlich steigt Christian Broecking, Musikwissenschaftler und Soziologe, Publizist und Autor (auch für Jazz thing) in seine Biografie über die Schweizerin ein. Denn sein Buch „Dieses unbändige Gefühl der Freiheit. Irène Schweizer – Jazz, Avantgarde, Politik“ zeichnet nicht nur die Lebensgeschichte dieser renommierten Instrumentalistin einer europäischen Improvisationsmusik nach.
Zwischen den Zeilen gelesen ist es auch die Geschichte, wie der Biograf Broecking der Pianistin immer näher kommt, wie diese ihm immer mehr vertraut und sich nach und nach öffnet. Am Schluss der vielen Gespräche, die Broecking mit Schweizer geführt hat, gibt sie ihm einen Koffer mit Ordnern, die das 75-jährige Leben der Pianistin dokumentieren, mit nach Berlin. „Als ich später am Abend Patrick Landolt (Chef von Intakt Records und langjähriger Freund Schweizers; Anm. d. Autors) davon berichtete, erklärt er, dass er von jenen Ordnern zwar schon gehört, sie aber nie zu Gesicht bekommen habe. Dass sie mir diese Ordner nicht nur gezeigt, sondern sogar anvertraut und in einem großen Koffer mit nach Berlin gegeben habe, sei ein großer Vertrauensbeweis.“
Zurück zu den Fakten: Broeckings Biografie ist nicht nur eine Musiker-Monografie, mit der Leben und Werk in Zusammenhang gebracht werden. Er lässt nicht nur die Pianistin ausgiebig zu Wort kommen, um Anekdoten und Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen, sondern hat auch viele Freunde und Weggefährten gesprochen – wie beispielsweise den Schlagzeuger Pierre Favre oder den Pianisten Alexander von Schlippenbach, dem einstigen FMP-Chef Jost Gebers oder eben Patrick Landolt –, die mit ihren Aussagen ein facettenreiches Bild von Schweizer zeichnen. Broecking beschreibt auch die Geschichte der Emanzipation der Jazzpianistin Schweizer: von den Anfängen als Autodidaktin in einer Dixieland-Band in ihrer Geburtsstadt Schaffhausen und ihren ersten Gehversuchen im Modern Jazz über ihr „Erweckungserlebnis“ Cecil Taylor, das sie zuerst an sich selbst zweifeln ließ, um sich dann der totalen Freiheit hinzugeben, bis hin zu ihrer Improvisationsmusik von Heute zwischen fixer Struktur und freier Intuition, formaler Strenge und stilistischer Geläufigkeit.
Broecking zeigt in seinem Buch auch, wie die Pianistin durch ihre Bekanntschaft mit den in den 1960ern in Zürich lebenden, südafrikanischen Jazzmusikern (allen voran Luis Moholo) zur Antiapartheidskämpferin wurde, wie sie in den 1970ern zur Gallionsfigur der europäischen Frauenbewegung wurde und wie sie sich bis heute für eine linke Politik in der Schweiz einsetzt – vor allem ihrem Kampf für künstlerische Freiheit und Autonomie geschuldet. Rechtzeitig zum 75. Geburtstag von Irène Schweizer am 2. Juni ist Broeckings Buch erschienen: „Dieses unbändige Gefühl der Freiheit. Irène Schweizer – Jazz, Avantgarde, Politik“ (Broecking Verlag) kostet gebunden 49,99 Euro, als Paperback 34,99 Euro.
Weiterführende Links
Broecking Verlag