RIP: Al Jarreau
Hamburg, mal wieder. 1976 gastiert dort im legendären Onkel Pö ein afroamerikanischer Jazzsänger, der zum ersten Mal außerhalb der USA zu hören ist. Der drahtig bewegliche Mann schnalzt und gurgelt auf der Bühne, er dehnt und staucht die Vokale, er trommelt mit der Zunge wie ein Schlagzeuger auf seinem Drumset, manchmal glaubt man, im Timbre seiner Stimme ein ganzes Orchester zu hören. Seine stilistische Basis ist der Jazz, der seine Wurzeln tief in den Blues geschlagen hat. Er liebt aber auch die rhythmische Nonchalance brasilianischer Musik und die geerdeten Grooves von R&B, Funk und Soul. Michael Naura, damals Jazzredakteur beim Norddeutschen Rundfunk, wird auf den Sänger aufmerksam und nimmt eines der Konzerte für das Fernsehen auf. Der Rest ist Geschichte: Die Ausstrahlung dieses Mitschnitts macht den damals Mittdreißiger über Nacht berühmt. Seitdem lieben die Deutschen „ihren“ Al Jarreau über alles, oft ist der Sänger in den vergangenen vier Jahrzehnten im Land und genießt die Zuneigung, die ihm bei den Konzerten in Deutschland entgegenschlägt.
Dabei sah es Anfangs gar nicht danach aus, dass aus dem am 12. März 1940 in Milwaukee, Wisonsin, geborenen Jarreau ein begnadeter Jazzsänger werden sollte. Er selbst hatte einen anderen Lebensentwurf vor Augen: Er wollte Menschen helfen, studierte Psychologie und verdiente in den 1960er-Jahren sein Geld als Sozialarbeiter und Rehabilitationshelfer in San Francisco. Abends war er aber in den Jazzclubs der Stadt zu hören, unter anderem mit dem Trio des damals ebenfalls noch unbekannten Pianisten George Duke. Das waren auch die Jahre, in denen Jarreau seine Stimme bildete und zu seiner geölten Geschmeidigkeit in der Phrasierung und vokalen Experimentierlust, zu seiner emotionalen Ausdruckskraft und stilistischen Offenheit fand; Eigenschaften, die ihn ab Mitte der 1970er dann berühmt machen sollten. 1975 wurde der Branchenriese Warner Music in Person von Siggi Loch bei einem Jarreau-Konzert im Vorprogramm von Les McCann auf den Sänger aufmerksam und nahm ihn unter Vertrag. „We Got By“ war Jarreaus Debütalbum, dem „Glow“ und die Live-Doppel-LP „Look To The Rainbow“ mit einer unfassbaren Version des Brubeck/Desmond-Klassikers „Take Five“ folgten. Auch wenn Jarreau in den folgenden Jahrzehnten häufig mit dem kommerziellen Erfolg im Pop liebäugeln sollte, so blieben seine vokalen Eigenheiten stets präsent, mit denen er seine veröffentlichten Alben veredelte und die ihm mehrere „Grammys“ bescherten.
Im Herbst vergangenen Jahres war Jarreau mit der NDR Bigband auf Tournee. Mit dem Songbook des legendären Bandleaders und Komponisten Duke Ellington zog man durch die großen Konzertsäle Europas, das Gros der Auftritte war ausverkauft und das Publikum feierte den Sänger und das Jazzorchester des Norddeutschen Rundfunks. Eigentlich sollte es in diesem Sommer eine Fortsetzung geben, auch mit seiner eigenen Band wollte Jarreau nach Europa kommen. Doch dann machte Ende Januar die Nachricht die Runde, dass der Sänger in einem Krankenhaus in Los Angeles behandelt werden muss. Seinen Gesundheitszustand nahm Jarreau dann zum Anlass, nicht nur alle Konzerte für 2017 abzusagen, sondern sich ganz von der Bühne zu verabschieden. Die Hoffnung, dass der Sänger genesen würde, währte leider nur kurz: Am 12. Februar ist Alwyn Lopez „Al“ Jarreau im Alter von 76 Jahren gestorben.
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