Gestorben: Allan Holdsworth
An einem ersten warmen Frühlingstag 1998 saßen Allan Holdsworth und ich im Päffgen-Stammhaus in der Nähe vom Kölner Friesenplatz. Ich sollte den Gitarristen auf einer Pressereise durch Deutschland begleiten. Weil der erste Nachmittag frei war, wollte ich Holdsworth einige der Orte in Köln zeigen, wo noch annähernd ursprünglich Kölsch getrunken und gezapft wurde. Allan wollte im Päffgen gleich vorne am Eingang sitzen, dort, wo die Köbesse das Kölsch holten und die schweren Holzfässer an Ketten hängend aus dem Keller gezogen und auf einer Schräge abgesetzt wurden. Dabei machte er mit großen Augen einen Spruch, der mir bis heute in Erinnerung geblieben ist: „only by gravity – fantastic“. Kein Bier also, das mit Kohlensäure unter Druck gesetzt wird, um aus dem Zapfhahn zu fließen, sondern eines, das durch die Schwerkraft direkt aus dem Fass ins Glas läuft.
Diese Beobachtung war für Holdsworth Auslöser, um stundenlang, nur unterbrochen von Kölsch-typischen Snacks wie „Halver Hahn“, über das Bierbrauen und Biertrinken zu philosophieren. Er erzählte auch, dass er eine Bierzapfanlage erfunden habe, um in seinem amerikanischen Domizil auf den dort gebrauten Ales die Konsistenz des Schaums zu bekommen, wie er sie aus seiner Heimat England kannte. Diese Zapfanlage, von ihm „The Fizzbuster“ genannt, hatte er sich patentieren lassen und an amerikanische Brauereien lizenziert, mit den Einnahmen konnte er sich einigermaßen die Jahre finanzieren, in denen er zwischenzeitlich als Gitarrist pausiert hatte.
Holdsworth, 1946 im englischen Bradford geboren, war wie ein Kind: So wie er sich fühlte, so verhielt er sich und handelte er auch. Das Draußen strömte ungehindert und ungefiltert in ihn, es gab keine Barriere, kein Stauwehr und keinen Deich, die ihm halfen, die Wirklichkeit zu selektieren. Wohl auch deshalb hatte er in seiner langen Karriere nicht oft Gelegenheit, auf Pressereise zu sein. Hinzu kamen musikalische Gründe. Schon früh übertrug Holdsworth John Coltranes „Sheets of Sound“ auf sein Instrument und jagte seine zumeist legato gespielten Single-Note-Ketten mit Händen groß wie Bratpfannen im Geschwindigkeitsrausch über das Griffbrett. Seine spielerische Virtuosität und technische Brillanz sind umso erstaunlicher, wenn man weiß, dass der Gitarrist nie richtig Notenlesen gelernt hat. Zwar war er am Anfang seiner Karriere in den 1970ern als Gitarrist in Bands zu hören, die an der Schnittstelle von Jazz und Rock stilbildend wirkten – wie zum Beispiel Nucleus, Soft Machine, The New Tony Williams Lifetime oder UK mit dem Schlagzeuger Bill Bruford. Doch seine späteren Alben unter eigenem Namen waren in der Regel zu komplex und verschroben, um außerhalb eines Kreises von Gitarreninsidern wahrgenommen und verstanden zu werden.
Sein Alkoholproblem vergangener Tage wurde in den letzten Jahren zur Sucht. Nach und nach machten ihm gesundheitliche Probleme zu schaffen, auch seine übersprudelnde Musikalität konnte Holdsworth nicht mehr mit der Kreativität von einst befeuern. Er trat nur noch selten live auf, außer einigen CD-Anthologien gab es keine nennenswerten Albumveröffentlichungen mehr. Am 15. April ist Allan Holdsworth im Alter von 70 Jahren in seiner Wohnung in Vista, Kalifornien, an den Folgen eines Herzinfarktes gestorben. Seine Familie hat eine Crowdfunding-Seite eingerichtet, um dem Gitarristen eine angemessene Beerdigung bezahlen zu können. Text Martin Laurentius
Weiterführende Links
Allan Holdsworth
„Allan Holdsworth GoFundMe“