Neues Buch: Fantasieren nach Beethoven

Neues Buch: Fantasieren nach BeethovenFantasieren nach BeethovenDeuten wir den Titel des Buches „Fantasieren nach Beethoven“ der promovierten Musikwissenschaftlerin und Projektleiterin des Jazzfestes Bonn, Anke Steinbeck, in ein „Fantasieren im Sinne von Beethoven“ um und lesen es formal wie eines der Klavierkonzerte, für die Ludwig van Beethoven zeitlebens ebenso als Komponist wie als (improvisierender) Interpret berühmt war, dann folgt die Autorin in ihrem Buch gleichsam den drei Sätzen eines dieser Klavierkonzerte. In diese Struktur schiebt sie (es geht ja auch um zeitgenössische improvisierte und Jazzmusik und deren Verbindungen zur klassischen Musik) mit Gesprächen mit Musikern einige Solochorusse als freie Zwischenspiele ein. In ihrem ersten Satz „Der Beginn einer Reise in die Welt der Improvisation“ stellt Steinbeck ihre These auf: „Im vorliegenden Buch wird anhand der Improvisationskunst in den Genres ,Klassik‘ und ,Jazz‘ gezeigt, dass es durchaus möglich sowie historisch und organisch herleitbar ist, im Konzert gleichzeitig die Tradition zu pflegen und Neues zu erleben“, ist Steinbeck überzeugt. „Während die ,Klassik‘, die im Grunde die Leistungen einer bereits vergangenen Geschichtsepoche feiert, bis heute zum zentralen Bestandteil unseres kulturellen Gesellschaftsverständnisses gehört, hat der ,Jazz‘, der mit seinen Eigenschaften Internationalität und Interkulturalität heute in besonderer Form für eine pluralistische Gesellschaft einsteht, in Deutschland erst in den letzten Jahrzehnten eine beispielhafte Entwicklung erlebt.“ Im zweiten Satz ihres Buches macht sie den Fokus eng und versucht anhand der Geburtsstadt Beethovens das Verbindende und Trennende von Klassik und Jazz am Beispiel von Bonn aufzuzeigen. Im Schlusssatz wiederum bringt Steinbeck eine Art Phänomenologie der „Improvisation als interkulturelle Praxis“ und geht der Frage „Was ist Improvisation?“ nach, in dem sie verschiedene Aspekte der improvisatorischen Praxis und Jazz-Historie beleuchtet.

Untermauert werden Steinbecks drei Sätze durch die freien Interludes mit Interviews mit Musikern und Komponisten. Vor allem die Gespräche mit dem Vibrafonisten und „Jazz-Denker“ Christopher Dell und dem Komponisten und GEMA-Aufsichtsratsvorsitzenden Enjott Schneider sind vor dem Hintergrund der These Steinbecks interessant und erhellend. „Ich glaube, dass im 20. Jahrhundert der Rhythmus die Hauptrolle spielt. Das gilt für den Jazz ebenso wie für Béla Bartók oder Karlheinz Stockhausen oder Pierre Boulez“, sagt Dell: „Durch den Rhythmus erreichst du eine Plastizität, die dir ermöglicht, melodisch viel weiter zu gehen. Diese Melodien werden fast selber zu Rhythmen, wenn sich eine harmonische Öffnung ergibt.“ Dem fügt Schneider aus der Perspektive des Komponisten hinzu: „Ist eine Musik zu abstrakt, zu komplex, so dass ich permanent zählen, entziffern, intonieren und immense Großhirnleistungen voll bringen muss, dann geht eben das ,Herz‘ (die Seele, die Emotion) leicht verloren. Wer improvisiert, der erdet seine kompositorischen Flüge immer wieder mit dem Erleben von ,Herz‘.“ Was sich in den Interviews vielleicht manches Mal „esoterisch“ liest, bekommt im Gespräch mit dem Musik-Neurologen und -Psychologen Stefan Koelsch eine wissenschaftliche Fundamentierung. „Bei den Forschungen zu den Hirnkorrelaten von Emotionen, die durch hervorgerufen werden, fallen zwei Dinge auf: Zum einen gehören viele der Hirnstrukturen, die durch musikevozierte Emotionen aktiviert werden, zu einem Netzwerk, welches in der Forschung als das Belohnungsnetzwerk des Gehirns bezeichnet wird“, so Koelsch: „Bei den Studien zu musikevozierten Emotionen im Gehirn fällt jedoch zusätzlich eine sehr starke Aktivität in einem zweiten Gebiet auf, und zwar im Hippocampus. Diese Struktur gehört nicht zum Spaßsystem, es ist eine gesonderte Hirn-Struktur, die für bindungsbezogene Emotionen wie Freude, Berührtsein oder Liebe wichtig ist.“

In ihrer Schlussbemerkung (nennen wir sie „Coda“) wird Steinbeck dann auch kulturpolitisch, wenn sie darauf verweist, dass durch die gemeinsame Tradition und Entwicklung von Komposition und Improvisation der Jazz längst keine „Nische“ mehr darstellt. „Improvisieren setzt ein einander Zuhören voraus, ein aufeinander Eingehen, Flexibilität, Achtsamkeit und Dialogbereitschaft“, so die Autorin. „Sehen wir ,Jazz‘ und ,Klassik‘ nicht ausschließlich als ein ,entweder oder‘, sondern als zwei ernstzunehmende, sich auch gegenseitig bereichernde Metiers, so können in der Wechselwirkung von Struktur und Freiheit auch heute magische Momente entstehen.“ Anke Steinbecks „Fantasieren nach Beethoven“ ist im Verlag Dohr Köln erschienen und kostet 20 Euro.

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Verlag Dohr Köln

Text
Martin Laurentius

Veröffentlicht am unter News

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