RIP: Coco Schumann
Es hat mehr als 40 Jahre gedauert, bis er über seine Erlebnisse als jüdisches Kind und jüdischer Jugendlicher in den Jahren zwischen 1933 und ‚45 berichten konnte – und es tatsächlich auch wollte. Erst ein Gespräch mit einem WDR-Reporter irgendwann Ende der 1980er-, Anfang der ’90er-Jahre anlässlich eines Treffens von Überlebenden des Arbeitslagers Wulkow, einem Außenlager des KZs Theresienstadt, in dem seine Ehefrau interniert war, ließ den Berliner Coco Schumann seine Meinung ändern. 1997 erschien dann seine Autobiografie: „Coco Schumann: Der Ghetto-Swinger – Eine Jazzlegende erzählt“. Darin erzählt er vor allem von diesen zwölf Jahren, die er, anders als viele Leidensgenossen, überlebt hatte. Er erzählt davon, wie er in der Schule als Sohn einer jüdischen Mutter und eines zum Judentum konvertierten Vaters mehr und mehr Anfeindungen ausgesetzt war. Er erzählt auch, wie er 1938 zufällig die swingende Improvisationsmusik aus dem Süden der USA für sich entdeckte, den Jazz eines Duke Ellington oder Artie Shaw. Und er erzählt, wie er daraufhin wie besessen Gitarre übte und mit Gleichgesinnten und Gleichaltrigen die Konzertsäle für diese von den Nazis eigentlich verbotene Musik besuchte – und auch, wie er seine ersten professionellen Jobs in Berlin spielte.
„Morgens stand in großen Lettern einer Tageszeitung: ,Coco Schumann: Das schreckliche Leben einer Jazz-Legende‘! Aber das stimmt nicht“, heißt es im Prolog von Schumanns Autobiografie: „Nein, mein Guter, sagte ich mir angesichts des hellen Planeten, wild und bunt lief es, manchmal zu lang und immer zu kurz, das Leben hat sich unglaublich böse und entsetzlich schön gezeigt. Nur eines war und ist es mit Sicherheit nicht: schrecklich.“ Es ist diese Nonchalance, mit der Schumann überleben konnte: erst die Jahre in Berlin, als er mit viel Chuzpe den Nazi-Schergen der SS und Gestapo stets ein Schnippchen schlagen konnte, bevor er zuerst in das „Nazi-Vorzeige-KZ“ Theresienstadt nördlich der tschechischen Hauptstadt Prag, dann nach Auschwitz und kurz vor Kriegsende nach Dachau deportiert worden war, wo er als Gitarrist der Ghetto-Swinger im wahrsten Wortsinn um sein Leben spielte. Liest man in seinem Buch über das, was er in dieser Zeit erlebt hatte, so kann man einerseits nachvollziehen, warum Schumann so lange nicht darüber sprechen wollte, und wundert sich andererseits aber auch, warum er nach 1945 ein so freundlicher, ein so der Welt zugewandter Mensch geblieben ist.
Schumann, 1924 in Berlin geboren, ist ein Pionier für den sogenannten Nachkriegs-Jazz in Westdeutschland; mehr noch: Er war wohl der erste Jazzmusiker in Deutschland, der die elektrisch verstärkte Gitarre als Instrument seiner Wahl auserkoren hatte. In West-Berlin, wo er, nur unterbrochen durch zwei Versuche, nach Australien auszuwandern, nach seiner Befreiung aus dem KZ durch amerikanische Soldaten mit seiner Familie lebte, machte er sich bald wieder einen Namen als Jazz- und Swing-Gitarrist. Vor allem in den Bands des Geigers Helmut Zacharias sorgte Schumann für Furore, aber auch die Filmstudios engagierten in den Jahren des Wirtschaftswunders den Gitarristen oft und gerne. Heute würde man seine Musik von damals Easy Listening nennen, jedenfalls war es eine freundliche Musik eines freundlichen und netten Menschen.
Es mag absurd klingen, aber zum „echten“ Jazz, den er mit viel Swing zu spielen pflegte, kehrte er erst wieder zurück, nachdem vor 20 Jahren seine Autobiografie erschienen war. Mit seinem damals gegründeten Quartett spielte er diese Musik mit Herz und Leidenschaft; zumeist in regulären Konzerten, aber oft auch in Zeitzeugenauftritten, bei denen er auch über die Grausamkeiten in den Nazi-KZs berichtete. Dennoch blieb Schumann stets das, was er über sich in seinem Buch geschrieben hat: „Ich bin Musiker. Ein Musiker, der im KZ gesessen hat, kein KZler, der Musik macht.“ Am 28. Januar ist Heinz Jakob „Coco“ Schumann in Berlin gestorben. Er wurde 93 Jahre alt.