Gestorben: Cecil Taylor
Er hat in seiner eigenen Zeit gelebt. Für Cecil Taylor lief Zeit nicht linear ab, sie war ein ein Strom, der in die Unendlichkeit verweist, ein Kontinuum, an dem sich die Lebensereignisse aufhängen. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft: Diese Aufteilung hatte für Taylor, der 1929 in New York geboren wurde, keine Bedeutung. Zeit war für den Pianisten eine Variable, aber keine Konstante; etwas, das flexibel gehandhabt werden konnte.
Das musste auch Arne Reimer erkennen, der Taylor natürlich für unsere Artikelreihe und das Buchprojekt „American Jazz Heroes“ treffen wollte. Ein Jahr lang versuchte er, einen Gesprächstermin mit Taylor zu vereinbaren – ohne Erfolg. Dann fuhr Reimer unangemeldet zu Taylors Wohnung im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Die Klingel am Haus funktionierte nicht, er musste Taylor erneut anrufen. Der öffnete Reimer dann die Tür und ließ ihn ein – so als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, dass der Deutsche exakt zu diesem Zeitpunkt vor seiner Haustür in Brooklyn gestanden hat. Reimer war jedenfalls am Ziel: eine „Audienz“ beim Schamanen des Jazzklaviers, Cecil Taylor.
Unzählige Plattenveröffentlichungen und zahllose Konzerte überall auf der Welt stehen seit Mitte der 1950er-Jahre, als Taylor mit seiner einmaligen Improvisationsmusik zum ersten Mal in der Szene auftrat, auf der Habenseite des Pianisten. Doch die tatsächliche Lebensleistung des Pianisten ist eine andere: Dem freien Jazz etwa eines Ornette Coleman gab er Struktur und Form – und zwar ganz nach seinen eigenen Prinzipien. Er ließ sich gar nicht erst auf das „Anything goes“ des freien Spiels der Kräfte ein, sondern versuchte von Anfang an, den Klang seiner Improvisationsmusik auszudifferenzieren und die musikalische Zeit zu formen – gleichgültig ob zusammen mit einer Band oder als Solist alleine am Klavier. „Sein Ansatz der spontanen Komposition war nicht nur für mich ein Haupteinfluss“, berichtet Steve Coleman, der als junger Saxofonist 1982 in einer von Taylor zusammengestellten und geleiteten Big Band gespielt hatte, im „Jazztimes Magazine“ über den Pianisten. „Die Leute reden zumeist über Keith Jarrett als den ersten, der sich damit beschäftigt hatte. Aber für mich war Cecil der erste, von dem, so denke ich, Keith und auch die anderen es übernommen haben. Cecil war ein eigenes Universum, das man auch zu seinen eigenen Bedingungen nehmen musste.“
Taylor bekam auch die öffentliche Anerkennung, die ein Musiker seiner Größe und Klasse eigentlich verdient hat. 1991 wurde er „Mac Arthur Fellow“, 2013 wurde er mit dem renommierten „Kyoto Prize“ ausgezeichnet. 2004 beendete der kalifornische Filmemacher Christopher Felver die zehnjährige Arbeit an einem Dokumentarfilm über den Pianisten: „Cecil Taylor: All The Notes“ hatte seine Europapremiere beim Berliner Festival Total Music Meeting 2005. Nur wenige Tage nach seinem 89. Geburtstag Ende März ist Cecil Taylor am 5. April gestorben. Text: Martin Laurentius