RIP: Karlheinz Drechsel
Karlheinz Drechsel hatte eine einzigartige Gabe. Er konnte den Jazz Menschen nahebringen, die sonst niemals Zugang zu dieser Musik gefunden hätten. Nicht indem er ihn aufs Podest und damit übers normale Maß des Begreifbaren hinaus gehoben hätte, wie so viele seiner Kollegen in Ost und West, sondern weil er Brücken baute, auf denen die Hörer ihrer Musik unvoreingenommen begegnen konnten. Bei dem Dr. Jazz genannten Dresdener wirkte Jazz wie die alltäglichste Sache der Welt, die man einfach liebhaben muss. Anders wäre es auch nicht gegangen im System der DDR, das Äußerungen aus dem Westen, insbesondere den USA, pathologisch ablehnend gegenüberstand,
In Tausenden von Radiosendungen seit 1959, aber auch auf dem von ihm mitbegründeten Dixieland Festival Dresden und der Berliner Jazzbühne war er gegen alle anfänglichen Widerstände dafür verantwortlich, dass dem Jazz in Deutschland Ost eine Tür nach der anderen geöffnet wurde und sich viele Jahre vor Dylan, Springsteen und Co. die Armstrongs und Gillespies die Klinke in die Hand gaben. Mauern konnte und wollte er nicht akzeptieren. Bei Drechsel ging es nie um Drechsel, und doch oder gerade deshalb wollten seine Anhänger vor allem Drechsel hören. Sie vertrauten ihm, weil er seinen Hörern vertraute. Seine besondere Nahbarkeit, ansteckende Liebe zur Musik und Offenheit gegenüber jüngeren Kollegen machten ihn auch im vereinten Deutschland noch drei Jahrzehnte zur Institution. Am Montag, dem 5. Oktober 2020 erlag der Moderator, Autor und Festivalmacher wenige Wochen vor seinem 90. Geburtstag einer Infektion mit Covid-19. Mehr als 60 Jahre lang hatte er uns erfolgreich das Jazz-Virus injiziert. Danke, Dr. Jazz, das bleibt!
Text Wolf Kampmann