Schweiz: Grand Prix Musik für Erika Stucky
Erika Stucky ist mehr als nur eine Sängerin. Sie ist Aktions- und Performance-Künstlerin, für die die Stimme Teil ihres kreativen Kosmos ist. Sie ist Schauspielerin und Pantomimin, für die das Visuelle integraler Bestandteil ihres künstlerischen Ausdrucks ist. Sie ist eine bildende Künstlerin, die den Farbenreichtum ihrer Musik in ihre kurzen Videoinstallationen überträgt, im analogen Raum ebenso wie im digitalen. Und dann ist sie eine in Paris ausgebildete Jazzsängerin – wobei dieser Begriff zu kurz greift: Vokalartistin trifft es wohl besser. Bei ihren Auftritten und auf ihren Alben gibt sich Stucky gerne schrill und subversiv. Doch finden sich darin oftmals Momente, die so tiefgründig und ergreifend sind, dass sie einen zu Tränen rühren.
Stuckys künstlerisch-kreative Diversität hat ihren Grund in ihrer, nennen wir es mal: gebrochenen Biografie. 1962 als Tochter eines Metzgers, dessen Vater aus der Schweiz in die USA emigriert ist, in San Francisco geboren, kehrte sie mit ihrer Familie im Alter von neun Jahren in die Schweiz zurück; die Sehnsucht nach den heimatlichen Bergen soll dabei eine wichtige Rolle gespielt haben. Der „Hippie-Hotspot“ San Francisco hatte aber vor 50 Jahren die Saat für Stuckys spätere Laufbahn als gleichermaßen stilbildende wie genresprengende Künstlerin gelegt.
Vertraut mit der Roots-Music, dem Pop und dem Jazz der (Afro-)Amerikaner schlägt Stucky von dort aus stets eine Brücke rüber zur Musikkultur Europas und der Schweiz. Die Inbrunst afroamerikanischer Soul Music bekommt bei Stucky einen überraschenden Twist, wenn sie zum Beispiel plötzlich mit dem Jodeln anfängt. Überraschende Kontraste und scharfe Brüche: Auch das sind Markenzeichen ihrer Kunst. In ihren Projekten tummeln sich Pedal-Steel-Gitarren, Banjos und Saxofone neben Alphörnern, Streichinstrumenten und Zithern; ein Toy-Piano kann ebenso dazu gehören wie ein Megafon. Ihrer jazzsängerischen Ausbildung zum Trotz klingt ihre Stimme oftmals „unfertig“ – ein Indiz dafür, dass es ihr mehr um echte Persönlichkeit geht und weniger um bloße Kunstfertigkeit. Ein besonderer Kniff sind ihre Coversongs. Wenn Stucky Pop- und Rockklassiker etwa von Jimi Hendrix, Michael Jackson oder Prince interpretiert, frisst sie diese regelrecht mit „Haut und Haaren“. Ihre Version von „Bad“ bleibt einerseits unverkennbar Michael Jackson, andererseits ist sie durch die Art der ästhetischen Inszenierung eindeutig als Stucky zu identifizieren.
Der Schweizer „Grand Prix Musik“, mit 100.000 Franken dotiert, geht in diesem Jahr an die Schweiz-Amerikanerin. „2020 ist ein entscheidendes Jahr für die Kultur und insbesondere für die Musik. In diesem Jahr hat sich gezeigt, wie wichtig und wie verletzlich Komponistinnen und Komponisten, Interpretinnen und Interpreten aufgrund ihres Status sind. Musik erscheint als etwas Selbstverständliches. Sie ist allgegenwärtig: im Guten und, man muss es betonen, manchmal auch im Schlechten. Der Schweizer Musikpreis würdigt diejenigen, die sich für etwas einsetzen und Risiken eingehen; diejenigen, die der breiten Öffentlichkeit bekannt oder auch weniger bekannt sind“, so der Juryvorsitzende Laurence Desarzens in der Begründung. „Als Enfant terrible findet Erika Stucky im Herzen der Schweizer Identität die Substanz für erstaunliche Transformationen. Als Entdeckerin überwindet sie die Grenzen zwischen den musikalischen Genres. Sie erfindet sich immer wieder neu und bereichert ihr Leben im Kontakt mit anderen Kulturen und anderen Einflüssen. Wenn Nähe schwierig ist, verbindet Musik die Menschen mehr denn je und gestattet es ihnen, sich wiederzutreffen. Lasst sie uns feiern!“ Die Preisverleihung findet am 17. September im Rahmen des Festivals „Label Suisse“ in der Opéra de Lausanne statt.
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„Grand Prix Musik“