Ukraine: We Insist!
Vor neun Jahren war „Charlie Hebdo“ Ziel eines islamistischen Terrorangriffs. Zwei maskierte Männer stürmten am 7. Januar 2015 die Redaktionsräume dieser französischen Satirezeitschrift in Paris und töteten wild um sich schießend zwölf Menschen, darunter auch den Herausgeber und Karikaturisten Stéphane Charbonnier. Nicht nur in Frankreich stand man nach diesem brutalen Überfall unter Schock, für viele war dieses Attentat auch ein Anschlag auf die Pressefreiheit. Nur wenig später hat die renommierte, linksliberale Tageszeitung „Libération“ den überlebenden Redakteur/-innen angeboten, die folgende „Charlie Hebdo“-Ausgabe in ihren Verlagsräumen zu produzieren. Eine Woche nach dem Attentat ist diese dann mit der Karikatur eines weinenden Mohammeds auf dem Titel, der ein Schild mit dem Slogan „Je suis Charlie“ in den Händen hält, erschienen.
Einen solchen Akt der Solidarität hatte auch der Herausgeber der französischen Website Citizenjazz, Matthieu Jouan, im Sinn, als er das Gespräch mit den beiden Macher/-innen der ukrainischen Jazz-Plattform Meloport, der Pianistin Kateryna Ziabliuk und dem Fotografen Oleksii Karpovych, suchte. Diese ukrainische Site hat seit 2018 regelmäßig über Veröffentlichungen internationaler Größen informiert und auch umfassend über die Jazzszene in der Ukraine berichtet. Mit dem Überfall Russlands am 24. Februar 2022 mussten die beiden Aktivist/-innen aber ihre Arbeit für diese Jazz-Plattform einstellen. Viele ihrer Autor/-innen waren ins europäische Ausland geflüchtet, andere wurden als Soldaten eingezogen oder sind durch diesen grausamen Vernichtungskrieg Russlands traumatisiert.
Um auf Citizienjazz eine Sonderausgabe von Meloport zu publizieren, suchten sich Jouan und die beiden Ukrainer/-innen Unterstützung. Sie fanden diese unter anderem in der Leiterin des Musikdepartments vom staatlichen „Ukrainian Institute“ in Kyjiw, Mariana Bondarenko. „Ich traf Mariana vergangenen September auf der Konferenz des ,Europe Jazz Network‘ in Marseille“, erinnert sich Jouan. „Sie war sofort begeistert davon, eine Sonderausgabe von Meloport zu produzieren, und setzte alles daran, diese Idee in die Tat umzusetzen.“ Bondarenko betont, dass es für das Kulturinstitut von großer Bedeutung sei, „die ukrainischen Stimmen im Ausland zu unterstützen. Es geht um unsere kulturelle Identität und um reale Geschichten ukrainischer Musiker/-innen in Kriegszeiten. Es ist für uns Ukrainer/-innen entscheidend, dass unsere Jazzszene auch im internationalen Diskurs Gehör findet.“
Seit dem 15. Dezember ist die Meloport-Sonderausgabe auf Citizenjazz online und trägt den gleichermaßen kämpferischen wie aus jazzhistorischer Perspektive bedeutenden Titel „We Insist!“. Einige ukrainische Musiker/-innen kommen zu Wort, die ihre Geschichten zu Kriegszeiten erzählen. Wie beispielsweise der Trompeter Dennis Adu, der unter anderem seit dem Überfall Russlands Mitglied der „Ukrainian Art Front“ ist und Geld für die ukrainische Armee sammelt. Oder dessen Landsfrau, die Pianistin Maryna Kramarenko, die über ihre Erlebnisse im Exil in der finnischen Hauptstadt Helsinki berichtet. Oder der Pianist und Pädagoge Yakiv Tsvetinskyi, der über sein Dasein als jazzmusikalischer Weltenbummler erzählt, was ihm jetzt im Krieg zu überleben hilft. Diese Geschichten zeichnen jedenfalls das dramatische Bild einer Kunstszene in Kriegszeiten, aber auch von den einfachen Menschen in der Ukraine, die unter dem andauernden Bombenhagel und den Drohnenangriffen der russischen Armee zu leiden haben. Auf Citizenjazz sind die Artikel auf Ukrainisch und in französischer und englischer Übersetzung zu finden. Einige davon hat Jacek Brun kürzlich für jazz-fun.de ins Deutsche übersetzt und dort veröffentlicht.
Weiterführende Link
„We Insist!“
Meloport
jazz-fun.de