Belmont-Preis: Florian Weber
Florian Webers ECM-Debüt „Lucent Water“ (ECM/Universal) 2018 war etwas Besonderes – nicht nur, weil der Pianist diese CD mit seinem amerikanischen Quartett aufgenommen, sondern auch, weil er mit diesem Quartett sein nicht alltägliches Konzept einer „polyphonic intuition“ umgesetzt hat. „Meine ursprüngliche Idee der ,polyphonic intuition‘ hat sich fortentwickelt und umfasst nicht mehr nur ausschließlich musikalische Aspekte“, erläutert der 42-jährige Weber. „Ich kann in einem einzigen Ton gleichzeitig Freude und Leid empfinden – also gleichsam ,polyphon‘ fühlen.“
Seine kompositorischen Vorgaben sind zumeist mehrere klar ausformulierte Ideen, die zum Weiterverarbeiten anregen. Webers kompositorische Ideen passieren gleichzeitig, sodass er und seine Musiker die Freiheit der Wahl haben. „In einem der Stücke gibt es einen Rhythmus, in dem ein Siebener- zusammen mit einem Dreier-Metrum läuft – und zwar die ganze Zeit parallel. Es ist also die Gleichzeitigkeit von beiden Metren, die den Musikern neue Impulse zur Improvisation vermittelt. Das gibt ihnen die Freiheit, sich entweder in beiden Metren zu bewegen, oder, wann immer sie es möchten, in eine von beiden Taktarten zu wechseln. Das meine ich damit, wenn ich davon spreche, ihnen noch mehr Freiheiten an die Hand zu geben als zum Beispiel nur einen Siebener zu schreiben.“
Kürzlich wurde bekanntgegeben, dass Weber mit dem Belmont-Preis ausgezeichnet wird. Für nicht wenige kam das überraschend, weil dieser alle zwei Jahre verliehene, mit 20.000 Euro dotierte Preis eigentlich Instrumentalist*innen und Komponist*innen der Neuen Musik vorbehalten ist. Die Vergabe an einen gleichermaßen reflektierten wie introvertierten Improvisationsmusiker wie Weber macht aber dennoch Sinn, wie es in der Begründung des Kuratoriums der diesen Preis finanzierenden Forberg-Schneider-Stiftung: „So unbegrenzt die Möglichkeiten, so ökonomisch und konzentriert ist sein Klavierspiel. Anstelle der postmodernen Geste tritt die Arbeit an der musikalischen Substanz.“
Ursprünglich hatte sich Weber für das Preisträgerkonzert etwas Ungewöhnliches einfallen lassen. Er wollte im Schönberg-Zentrum in Wien und New York ins Archiv steigen und den Briefwechsel zwischen Arnold Schönberg und Wassily Kandinsky recherchieren „Einige dieser Briefe sind zwar als Buch dokumentiert, andere aber nur in den Schönberg-Archiven zu finden“, so Weber. „In diesem Briefwechsel haben die beiden ihre künstlerische Vision skizziert, und darauf wollte ich mich mit meinem Stück Bezug nehmen.“ Das Stück sollte mit dem Ensemble Modern einstudiert und auf der Preisverleihung uraufgeführt werden.
Doch die Corona-Pandemie und der Lockdown machten Weber einen Strich durch die Rechnung. Er konnte nicht in Wien und New York für sein Stück recherchieren, das Kontaktverbot machten die Proben mit dem renommierten Frankfurter Ensemble für Neue Musik unmöglich. Deshalb hat Weber nun eine Komposition geschrieben, die sich auf Schönbergs „Koalitionsschach“ beruft – einer Schachvariante für vier Spieler*innen. Deren Variabilität und Flexibilität sollen sowohl im Zusammenspiel mit dem Ensemble Modern als auch im musikalisch-kompositorischen Material Webers zum Ausdruck kommen. Zwar ist die Preisverleihung ins kommende Jahr verschoben worden, die Uraufführung des Weber-Stücks findet aber noch in diesem Jahr statt: am 30. Oktober im Berliner Pierre Boulez Saal.
Weiterführende Links
Forberg-Schneider-Stiftung