Alexandra Ivanova
Ein Baum mit vielen Wurzeln
Es gibt diesen Reflex, dass Musik heute in irgendeine Schublade gepresst werden muss, sonst gilt sie als nicht verkauf- oder vermittelbar. Wer das nicht möchte, der braucht einen langen Atem, um Aufmerksamkeit zu bekommen – oder eine Plattform wie die Jazz thing Next Generation.
Denn eine nonkonformistische Künstlerin wie Alexandra Ivanova würde sich unter keinen Umständen ein Schildchen aufpappen lassen, das sie einengen oder ausschließlich als Welt-, Klassik- und Jazzmusikerin identifizieren könnte. Denn da ist viel mehr!
„Ich stamme von einem bulgarischen Baum“, umschreibt Alexandra Ivanova mit feinem Lächeln prosaisch ihre multikulturelle Besonderheit, „der aber in österreichische Erde eingepflanzt und in Westasien sowie der Golfregion, zum Teil auch in Frankreich gegossen wurde. Außerdem besitzt er noch Flugwurzeln, die bis nach Kuba reichen.“ So lautet die Kurzform einer unkonventionellen Lebensgeschichte, die inzwischen ihre Saat bis nach Berlin streut, wo die Pianistin und Komponistin heute lebt.
Die Langform wäre ebenfalls noch weit aufregender als das Allermeiste, was Musikerinnen und Musiker der „nächsten Generation“ normalerweise vitatechnisch aufzuweisen haben. Denn bei Ivanova war es die Neugier auf das „Andere“, die sie schon in Teenagerjahren in den Bann schlug – nicht das, was im Augenblick gerade ihr Leben bestimmte, sondern das Unentdeckte in ihr selbst, in der Gesellschaft, in der Kultur.
„Weder mein österreichischer Pass noch meine bulgarische Herkunft sagen etwas darüber aus, wer ich bin, was ich genau mache, was mich interessiert. Geografisch mögen diese Welten weit voneinander entfernt liegen, tief in mir sprechen sie aber regelmäßig miteinander. Ich bin nun mal ein Chamäleon.“
Am besten nähert man sich dieser Frau deshalb über ihre Musik, die so gut wie alle Geheimnisse offenbart. Wenn sie komponiert, dann tut sie dies bewusst bilingual, die Vokabulare des Jazz, der orientalischen und afrokubanischen Musik nutzend, angereichert durch geheimnisvolle Polyrhythmen. Aus ihren raffinierten Arrangements fließen die Erfahrungen, auf drei Kontinenten zu leben und sechs Sprachen fließend zu sprechen. Alexandra Ivanova, diese in jeder Hinsicht aus dem Rahmen fallende Musikerin, die auch noch über einen Master in Wirtschaft und Business verfügt und Spoken Word Poetry schreibt, will ihre Zuhörer dazu einladen, die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten – aus dem Osten, dem Westen oder von irgendwo dazwischen.
Um so weit zu kommen, braucht es natürlich eine fundierte Ausbildung. Diese genoss Alexandra als Kind mit klassischem Klavierunterricht, bevor mit 16 der Jazz mit seinen improvisatorischen Verlockungen und Freiheiten Besitz von ihr ergriff. Sie ließ sich von Bob James, Scott Joplin, Peter Cincotti, Michel Petrucciani, Ahmad Jamal oder Oscar Peterson in die Welt der Blue Notes entführen, während Harold López-Nussa, Roberto Fonseca, Bojan Z, Tigran Hamasyan oder Avishai Cohen ihre Inspirationsquellen aus dem anderen Teil des Erdballs verkörperten.
Dass sie sich auch für bulgarische und Maqam-basierte Musik interessierte, legte bereits in jenen Jahren den Grundstein für diese außergewöhnliche 360-Grad-Perspektive. Eine entscheidende Rolle spielte dabei der libanesisch-amerikanische Jazzpianist Tarek Yamani, der sie stets ermunterte, weiterzumachen, „und am anderen Ende des Hoffnungsfadens eines Spinnennetzes stand, als ich mit dem Komponieren begann – ein dünner, aber starker Faden“.
Nach Studien in Dijon, Paris und Abu Dhabi gründete Alexandra Ivanova schließlich ihr Trio, dem der Bassist Niklas Lukassen und der Schlagzeuger Nathan Ott angehören. Mit durchaus bemerkenswertem Erfolg: 2021 erhielt sie ein Stipendium des Deutschen Musikfonds, 2022 eines des Berliner Senats, Auftritte auf allen Kontinenten manifestierten allmählich ihren Ruf als Geheimtipp – obwohl sie noch gar nicht eine klassische „Visitenkarte“, sprich ein eigenes Album, im Rucksack dabeihatte. Das liegt mittlerweile jedoch vor und trägt den durchaus programmatischen Titel Beauty In Chaos (Double Moon/Bertus), wobei auch die französisch-syrische Vokalistin Lynn Adib spannende Akzente setzt.
„Vielleicht bringt es meine Suche nach einem Gefühl von Zugehörigkeit auf den Punkt, mein Bestreben, angesichts dieses verästelten Baumes mit den vielen Wurzeln und Wasserspendern den Überblick zu bewahren“,
beschreibt Alexandra Ivanova das Wesen der sieben von Sensibilität, Klarheit und fesselnden Rhythmen geprägten Kompositionen. Dabei wolle sie beweisen, dass auf ihrem Baum sowohl Orangen und Nüsse als auch Äpfel und Kastanien neben- und miteinander gedeihen können. Eine Reise zum Zentrum des eigenen Ichs.
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