Bastian Stein's Gravity Point

Grounded

Unter den Tonträgern der „Jazz thing Next Generation“ gab es bisher nur drei, die mit dem Blech als Mittelpunkt des musikalischen Geschehens aufwarteten – gegenüber dem Saxofon sind sie ziemlich in der Unterzahl. Doch nun meldet sich aus Wien eine feste Stimme mit klarem Ansatz: Bastian Stein mit seiner Band Gravity Point.

Jazz thing Next Generation Vol.35. Bastian Stein's Gravity Point - GroundedIst einer, der mit 26 sein Debüt aufnimmt, ein Spätzünder oder schon früh dabei? Mit Bastian Stein lässt sich die Frage locker von mehreren Seiten angehen. Zum einen hat sich der in Heidelberg geborene Musiker bereits mit zehn Jahren an der Universität in Wien in die Kunst des Trompetenspiels einführen lassen. Insofern hat sein erstes Album lange auf sich warten lassen, könnte man behaupten. Außerdem ist er auch schon seit einigen Jahren ein gefragter Mann, der in verschiedenen Formationen aktiv ist und war. Na ja, vielleicht ist ja gerade das ein Grund, wieso es mit dem Album gedauert hat. Zählen wir mal die Statistik durch, so ist 26 für einen Jazzer ein gutes Einstiegsalter in die Abteilung Plattenmachen. Die 34 Alben der „Jazz thing Next Generation“ reichen als Beleg dafür längst.

Inzwischen ist Bastian Stein ein Jahr älter und sieht der Veröffentlichung seines Erstlings gelassen entgegen. Ein Zeitproblem hat er mit „Grounded“ (DoubleMoon/SunnyMoon) nicht gehabt.

„Ich wollte nun endlich mal ein Projekt haben, mit dem ich meine eigene musikalische Entwicklung durchgehen konnte. Und eine musikalische Visitenkarte hat ja auch Vorteile“,
sagt der Hans-Koller-Preisträger.

Gravity Point nennt Stein seine Band, ein Begriff, über den man stolpern kann, findet Stein – „denn eigentlich gibt es keinen Gravitationspunkt, sondern nur eine Fläche“ – und lacht, denn da muss einer schon ein wenig Physik im Kopf haben, um die Fakten zu nennen. „Aber mir gefällt der Klang dieses Wortgebildes“, ergänzt er. Und es passt zu der Wirkung, die von Steins Musik ausgeht. Klare Linien mit schwebenden Harmonien und sanften Konturen, kammermusikalisch angehauchte Passagen mit zuweilen fast klassizistischen Elementen oder launisch groovende Rhythmusfiguren bieten den fünf Musikern des Ensembles viel Raum für ihre Interpretation der Themen.

Einige seiner Werke hatte Stein bereits geschrieben, als noch unklar war, mit wem er sie aufnehmen würde; andere entstanden ganz bewusst im Hinblick auf die Musiker seines „Gravity Point“-Ensembles. Etwa das cool groovende Titelstück „Grounded“:

„Dabei habe ich mich von dem Spiel meines Schlagzeugers Peter Kronreif und des Bassisten Matthias Pichler inspirieren lassen. Das kam einen Monat vor dem Gang ins Studio zustande.“

Die Rhythmusgruppe ergänzt Philipp Jagschitz am Klavier, während Peters Bruder Christian an Saxofonen und Bassklarinette neben der Trompete oder dem Flügelhorn des Bandleaders überzeugende Soloparts und harmonische Korrespondenzen liefert. Kronreif und Jagschitz haben für „Grounded“ jeweils eine Komposition beigesteuert. Und als kleine Überraschung gastiert Angela Maria Reisinger mit ihrer Stimme auf zwei Stücken.

Manchen Tracks ist anzuhören, dass ihr Verfasser in sehr unterschiedlichen Schubladen Theorie und Praxis betrieben hat, bevor er selbst mit dem Schreiben anfing. Der Spross einer Künstlerfamilie – der Vater Theatermusiker, die Mutter Schauspielerin und Sängerin – ist mit Klassik eingestiegen, die Swingmusik von Big Bands aus der Plattensammlung des Vaters zählte quasi zum Kinderspielzeug, später entdeckte er Chet Baker.

„Dann kam ganz schnell Freddie Hubbard, der mir durch sein starkes, ausdrucksvolles Spiel imponierte – der harte Junge von der Straße.“ Bei Miles und Coltrane blieb er „ziemlich lange hängen, Woody Shaw war für mich extrem wichtig. Das ist noch gar nicht so lange her, drei, vier Jahre vielleicht. Und dazwischen habe ich immer wieder Klassik gemacht, von Bach bis Bartók.“

Stein hat nach Wien in Amsterdam studiert, unter anderem bei Ack van Rooyen, er ist unter Peter Herbolzheimer im Bundesjazzorchester aktiv gewesen und 2005 mit dem Hans-Koller-Preis (ein New-York-Stipendium) ausgezeichnet worden.

„Kurz nach dieser Preisverleihung setzte ich ein Jahr aus dem Musikergeschäft aus und ging nach Schweden zu dem klassischen Trompeter Bo Nilsson. Ich habe ein Jahr lang nur geübt und er hat mir geholfen, an meiner Technik zu feilen. Ich übe auch heute noch sehr viel klassische Literatur und nach Schweden fahre ich regelmäßig.“

Herbolzheimer entdeckte in dem Perfektionisten eine „außergewöhnliche kompositorische Begabung“ und schrieb sie ihm ins Gästebuch. Mathias Rüegg zählt ihn gar „zu den hervorragendsten Begabungen Österreichs“. Bastian Stein allerdings praktiziert dieses Talent noch nicht allzu lange:

„Ich habe das eigentlich nie probiert, bis vor zirka zwei Jahren vielleicht. Mich interessierte es einfach zu sehr, in der Geschichte des Jazz zu stöbern und zu spielen, Standards zu interpretieren. Es gab so viele schöne Stücke, die ich spielen wollte; da war überhaupt kein Anspruch vorhanden, etwas Eigenes zu schaffen. Doch dann kam die Motivation, und es hat mir von Anfang an Spaß gemacht.“

Text
Uli Lemke

Veröffentlicht am unter 86, Heft, Next Generation

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