Ek Safar. Herrenrunde ohne Vorsitz
Wo lernen sich heutzutage die jungen Jazzmusiker kennen? Meistens im Studium an den Musikhochschulen der Metropolen, gelegentlich auf Konzerten, seltener bei den Schnupperkursen im Ausland und richtig rar sind alte Bekanntschaften von der Schule her. Die Band, die wir diesmal in der „Jazz thing Next Generation“ vorstellen, ist sich im Kindergarten zum ersten Mal über die Füße gelaufen.
Gelaufen, nicht gekrabbelt. Nicht dass der Soumitra dem Nicolas eine Rassel weggenommen oder harmonisch mit ihm in die Flöte getrötet hätte. Und dann wäre Jahre später die Band gekommen. Nicolas Schulze hat Soumitra Paul zwar in der Tat im Kindergarten kennengelernt, aber die beiden waren da bereits im Mannesalter.
„Es war bei einem Kindergartenfest meiner jüngeren Tochter. Da war auch Soumitra und jemand erzählte mir, dass er Musiker ist und Tabla spielt. Ich sprach ihn an und er hatte sofort Lust, sich mit mir zu treffen. Wir jammten ein paar Mal und es fühlte sich so gut an, dass wir an eine Erweiterung dachten. Ein weiteres Melodieinstrument wäre gut. Und da ist mir sofort der Heiner eingefallen“, erzählt Nicolas Schulze.
Heiner Stilz ist Multiholzbläser, Pianist, Komponist und Arrangeur, Nicolas Schulze hat Jazzpiano studiert und arbeitet auch als Komponist für Bühne und Film. Die beiden 1979 Geborenen hatten sich – natürlich – an der Musikhochschule kennengelernt, in Stuttgart.
„Ich war gerade nach Berlin gezogen, als Nicolas mich ansprach“, erinnert sich Stilz. „Wir hatten in Stuttgart unterschiedliche Schwerpunkte verfolgt. Nicolas geht von der Ausbildung her etwas mehr in die freiere Richtung, zeitgenössisch, abstrakter. Ich komme ein bisschen aus der Soul- und Bluesecke.“
Soumitra Paul hat die Kunst des Tablaspiels in Kolkata erlernt, bei einem Meister seines Fachs, Ustad Sabir Khan. Er hat an der Uni in Paris unterrichtet und am Konservatorium in Birmingham, natürlich ist er auf Festivals in Indien präsent. Sein Spiel steht in der Tradition der Farukhabad-Gharana, einer Schule von berühmten Musikern, welche eine virtuose beidhändige Technik lehrt. „Ek Safar bedeutet schlicht und einfach Reise. Starten, sich bewegen, unterwegs sein, zurückkommen. Es ist wie eine Rundreise“, doziert Soumitra Paul und erklärt mit sanfter Stimme das Konzept des Trios, das keines sein will.
„Auf keinen Fall wollten wir in eine bestimmte Schublade hinein spielen, indisch, klassisch oder jazzy. Wir folgten einfach unseren eigenen Eingebungen. Nico kam mit einer Idee, ich hatte ein Motiv, Heiner gesellte sich ein paar Monate später dazu. Es entwickelte sich alles aus einem Fluss heraus, sozusagen. Es gab kein bestimmtes Konzept. Einfach gucken, was passiert.“
Nicolas wirft in die Runde, dass alle drei großen Wert darauf legen, ein Trio ohne Chef zu betreiben. Deshalb fanden die Musiker es auch wichtig, komplett zum Interview zu erscheinen.
„Es gibt da keine Hierarchie, wenn wir musizieren. Wir probieren Ideen aus, über die wir improvisieren. Jeder spielt aus dem Instinkt, aus dem Gefühl heraus. Wir benutzen keine Noten. Manchmal wiederholen wir etwas und verdichten eine Idee, die uns gefallen hat.“
Stilz, der sich bei Ek Safar ausschließlich der Klarinette widmet, ergänzt Paul:
„Und damit sind wir ziemlich glücklich. Manchmal singt einer den anderen eine Melodie vor, dann spüren wir ihr hinterher und gucken, was rauskommt.“
Rausgekommen ist das Debüt mit dem Namen des Trios im Titel. Die Reise geht durch relaxte melodische Weiten und verweilt bei transparenten Klanggebilden mit rhythmisch differenzierten Akzenten, zuweilen erinnert die sich langsam herausschälende Thematik an Minimal Music. Paul ergänzt die musikalischen Farben auch mit Konnakol, mit vokaler Perkussion. An ein paar Stellen reduziert sich das Trio auf ein Duo, mal Stilz und Schulze, dann Stilz und Paul. Auch das erklärt die Band als eine spontane Eingebung. Von mehr Farbe, mehr Variationsmöglichkeiten schwärmt das Trio. „Unsere Musik ist eher subtil, sie springt dir nicht ins Gesicht“, befindet einer der drei Musiker, und es ist völlig schnuppe, wer von diesen Gleichen in der Runde das gerade sagt.
Die beiden Deutschen haben sich nicht mit klassischen indischen Ragas befasst und Paul nimmt auch keinen Umweg über Studien westlicher Musik, um im Trio zu kommunizieren. „Wir lernen ständig voneinander.“ Sagen alle drei. Für die zehn Stücke seines Albums hat das Trio auch auf Jarretts Klassiker „Tabarka“ zurückgegriffen und über ein paar alte Ragas improvisiert. Beim letzten Stück, dem auf einem Raga basierenden „Mumbai Mail“, haut der Tablaspieler plötzlich ein verrücktes Solo heraus. Paul lacht.
„Wissen Sie, das war bei dieser Aufnahme so. Beim nächsten Mal, wenn wir das Stück spielen, wird es ganz bestimmt völlig anders. Ich kann auch anders.“ Da allerdings äußert sich sanfter Protest bei den beiden Kollegen. „Okay, dann schaun wir mal.“
Demnächst geht die Band auf Tour, im Februar wahrscheinlich bis nach Indien. Schulze arbeitet derzeit an einer Aufbereitung der Musik von Ek Safar für „Wo ist mein Zelt?“, eine filmische Dokumentation des deutsch-indischen Regisseurs Zubin Sethna.