Elsa Johanna Mohr

Die rheinische Brasilianerin

Astrud Gilberto, Elis Regina, Gal Costa oder Maria Bethânia sind Namen, die für weibliche brasilianische Authentizität stehen. Im Prinzip würde auch Elsa Johanna Mohr gut in diese Phalanx passen. Wer der Sängerin zuhört, der könnte durchaus vermuten, sie käme direkt vom Zuckerhut und nicht aus Köln. Denn ihr Portugiesisch ist besser als das vieler Einheimischer. Kein Fall für die Bossa-nova-Polizei, sondern eher für die „Jazz thing Next Generation“.

Elsa Johanna Mohr feat. Flávio Nunes – Passadinha (Cover)

Normalerweise entflammen Teenager für andere Länder, bevorzugt die Heimat ihrer angloamerikanischen Pophelden, nicht zuletzt auch, weil die Sprache dort keine unüberwindbaren intellektuellen Hürden darstellt. Portugiesisch dagegen ist anders: komplizierter, rauer, unpopulärer. Es sei denn, man – oder im aktuellen Fall: Frau – singt es. Auch Elsa Johanna Mohrs Fernwehblues drehte sich ursprünglich um ein ganz anderes Fleckchen Erde.

„Mit 16 gab es ein Angebot vom Rotary Club für ein Austauschjahr. Wir sollten drei Länder angeben, wobei ich zunächst Kanada und dann erst Brasilien nannte“, erzählt sie. „Allerdings hatte ich auch hinzugefügt, dass ich gerne singe, tanze und male, dass mich Kunst ganz generell interessiert und ich schon als Jugendliche eigene Songs auf Deutsch und Englisch geschrieben und in Bands gesungen habe. Und da dachte sich halt jemand, dass ich mit diesen Neigungen in Brasilien besser aufgehoben wäre.“

Wahrscheinlich wusste der oder die Unbekannte überhaupt nicht, welche richtungsweisende Weichenstellung mit dieser Entscheidung einherging. Gewissermaßen pflasterte sie nämlich den Weg für die Karriere einer ungewöhnlichen Vokalistin, die sich nun mit „Passadinha“ (Double Moon/Bertus) als 96. Kandidatin der „Jazz thing Next Generation“ zum ersten Mal einem breiteren Publikum vorstellen darf – und das mit einer gesunden Einschätzung ihrer selbst:

„Ich bin keine Brasilianerin, ich würde mich bestimmt nicht als Muttersprachlerin bezeichnen und nie mit all den großen Sängerinnen und Sängern messen wollen, obwohl die natürlich meine Vorbilder sind. Aber dieses Land hat mich einfach von Anfang an fasziniert. Die Lebensfreude, die Kultur, all das habe ich sehr in mein Herz geschlossen.“

Nach dem Austauschjahr in Foz do Iguaçu im Bundesstaat Paraná begann für Elsa Johanna ein steter Pendelbetrieb zwischen ihrer Heimat und ihrem Sehnsuchtsort. Zunächst das Abi, dann ein Praktikum beim Goethe-Institut in Salvador-Bahia, anschließend das Bachelorstudium in München und Montpellier mit Schwerpunkt brasilianische Literaturwissenschaft, das sie mit einer Arbeit über den Komponisten Dorival Caymmi (1914–2008) und die Rolle der Frau in seinen Liedern abschloss, und schließlich ein Jazzgesangstudium in Osnabrück, wo sie etwa bei Simin Tander, Tobias Christl und Efrat Alony lernte.

Immer wieder reiste Elsa Johanna Mohr von ihrer aktuellen Homebase Köln (seit 2018) aus nach Brasilien – trotz Bolsonaro („Meine Freunde freuen sich, dass Lula die Wahl gewonnen hat.“), trotz der fortschreitenden Zerstörung des Regenwaldes –, gründete Gruppen wie Magia Encanta mit dem Gitarristen Alex De Macedo, das Antigua Quartett oder das Frauentrio Luah und sang im Background mit dem afrobrasilianischen Jazz- und Soulsänger Ed Motta.

Elsa Johanna Mohr, Flávio Nunes (Foto: Ferry Mohr)

Zum ersten Mal unter eigenem Namen präsentiert sich die 32-Jährige jetzt mit dem brasilianischen Gitarristen Flávio Nunes.

„Er lebt seit etwa drei Jahren in Deutschland. Was Flávio sehr besonders macht, ist seine sensible Art der Begleitung. Ich fühle mich sehr gesehen und gehört von ihm, da er sehr feinfühlig ist“, beschreibt Elsa Johanna Mohr die Qualitäten ihres musikalischen Partners.

So besteht „Passadinha“ zum Teil aus Mohrs Originalen, aber auch aus brasilianischen Klassikern wie „Fechado Pra Balanço“ von Gilberto Gil oder „Tempo De Amor“ von Baden Powell. „Wir haben darauf geachtet, dass wir nicht nur Bossa nova dabeihaben, sondern auch mal einen Choro oder etwas Poppiges.“ Diese klare Diktion erhebt das Album zu einem kleinen Juwel, auch weil Nunes sowohl an der akustischen als auch an der elektrischen Gitarre in Erscheinung tritt, brasilianischen Stallgeruch mitbringt („Er sagt immer, es müsse „eiern‘, damit es echt klingt.“) und Mohr völlig offen über verletzte Gefühle wie in „Casuleira“ singt.

Und dann ist da noch das Ding mit der Sprache. Den Titel „Gíria“ könnte man mit „Umgangssprache“ übersetzen. „Es geht darum, dass ich zunächst mit der brasilianischen Umgangssprache in Kontakt gekommen bin, sie also quasi auf der Straße gelernt habe“, erzählt die Sängerin. „Im Studium habe ich die korrekte Grammatik gelernt. Mittlerweile spreche ich korrekter als mancher Brasilianer.“ Vom Gesang einmal ganz zu schweigen.

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Text
Reinhard Köchl
Foto
Ferry Mohr

Veröffentlicht am unter 147, Heft, Next Generation

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