Esther Kaiser – Jazz Poems
Jazz thing Next Generation Vol. 1
Sie ist jung, sie ist klug, und sie hat einn höchst eigenen Zugang zur improvisierten Musik. Die 28-jährige Sängerin Esther Kaiser zeigt mit ihrem Album „Jazz Poems“, dass Astor Piazzolla, Sting und Thelonious Monk mehr miteinander verbindet, als man landläufig denkt. Eine schöne Entdeckung – und der passende Start für die von Jazz thing und dem Kölner Label Double Moon ins Leben gerufene Nachwuchs-Offensive „Next Generation“.
Nach dem Interview hört man auf dem Band eine seltsame Sache. Und zwar an der Stelle, wo der Interviewer zerstreut nach irgendetwas sucht. Er gibt dabei ein greisenhaftes Gemurmel von sich. Was er nicht bemerkt, ist, dass die Interviewpartnerin auf die verbale Übersprungshandlung mit einer zarten, leisen Melodie reagiert. Nur das Mikrofon bekomt mit, wie Esther Kaiser das tut. In allen Dingen, selbst im Gestottere, schlummert ein Lied – die 28 Jahre junge Sängerin erweckt es zum Leben. Ganz unschuldig, ganz unbewusst. Diese Gabe macht auch ihr Erstlingswerk zu einer ausgesprochen sympathischen, zu Herzen gehenden Angelegenheit. Und das, obwohl die Vokalistin ihr Debüt sehr konzentriert und ambitioniert angelegt hat.
„Im ersten Entwurf stellte ich mir Jazz Poems eigentlich als einen Flirt mit der Neuen Musik vor. Diese Art von modernem Jazz, der jetzt nicht mehr unbedingt Bebop-Elemente haben muss oder Swing, der sich auflöst in Richtung E-Musik und Weltmusik“, erläutert Kaiser.
Das klingt relativ staatstragend, ist im Ergebnis aber eine relativ ausgewogene Mischung aus Intellekt und Gefühl, Melancholie und Spielwitz geworden; mit Cello, Flöte und Sax und einer Rhythmusgruppe um den hochmögend begabten Pianisten Carsten Daerr – und lauter hervorragenden Texten.
Im Zentrum von „Jazz Poems“ (Double Moon/sunny moon) steht eine Bearbeitung des „Angel“-Zyklus von Astor Piazzolla. Sie habe immer gedacht, dass diese Musik unbedingt Wörter brauche, erklärt Kaiser. Und dann fand sie: Zeilen, die von der Geburt und dem Tod eines Engels berichten, bedeutungsdurchlässig und erhebend traurig. Sie hat sie selbst geschrieben. Und sie erweist sich als bemerkenswert talentierte Dichterin. Das ist ein Lob, das sie gerne hört, aber bescheiden zurückweist.
„Ich sehe mich wirklich eher als Sängerin“, gesteht Esther Kaiser schmuck verschämt. Um dann davon zu erzählen, dass sie schon mit 15 Tagebucheinträge verfasste, die als Romanfragmente durchgehen konnten. Es ist mal wieder die Macht des Unbewussten, die sich hier manifestiert. Natürlich, als ausgebildete Jazz-Vokalistin weiß Esther Kaiser ganz genau, was sie in musikalischer Hinsicht tut. Das sei schließlich auch Ausbildungsschwerpunkt an der Berliner Hanns-Eisler-Hochschule gewesen, wo die in Freiburg geborene Kaiser unter der Aufsicht von Judy Niemack lernte, wie man die Technik perfekt beherrscht. An Literatur und Lyrik gehe sie jedoch genau mit dem entgegengesetzten Ansatz heran: unvorbelastet und emotional, ohne Kenntnis der akademischen Hintergründe. Sie habe sich schon auch mal ein Buch zu „Lyric Writing“ gekauft, was da aber drinsteht, gefalle ihr nicht. So macht man sich von Zwängen frei.
„Jazz Poems“ ist nun ein guter Beleg dafür, wie wie man Wissen und Gespür in eine feine Balance bringen kann. Die heitere Schwermut des Tango Nuevo zieht sich wie ein dunkler Faden durch die 13 Stücke, mal nähert sich Kaiser mit ihren Instrumentalisten stark den kontrapunktischen Kompositionsprinzipien der Klassik an, mal entflieht sie in eine freundliche kammer- und weltmusikalische Parallelwelt. Stings „Fragile“ hat sie gehörig reharmonisiert und gewitzt mit einer Kirk-Nurock-Komposition verwoben, Monks „Round Midnight“ mit Cello-Pizzicati und Rimshot-Uhrticken in eine unheimliche Ballade für die Geisterstunde verwandelt. Dazu singt Esther Kaisers glasklare Stimme das Kindertotenlied einer ruhelosen Seele. Es verwundert da nicht weiter, wenn die Vokalistin als Leitmotiv ihrer Platte „Unschuld am Abgrund“ ausgibt. Das ist nicht nur hübsch poetisch, sondern umschreibt ziemlich treffend die Wesen, denen Kaiser in ihren eigenen Texten Leben einhaucht.
Man darf diese nur nicht mit Esther Kaiser selbst verwechseln. Denn die ist keinesfalls unerfahren. Sondern tourneeerprobtes Ehrenmitglied der BuJazzO-Familie, Spezialistin für jiddisches Liedgut und Weill/Brecht, Close-Harmony-Darling in André Hermlins „Swing Dance Orchestra“ sowie gutgelaunter Teil des Vokalquartetts Berlin Voices. Kurz: ein mit vielen Wassern der Sangeskunst gewaschenes Talent made in Germany. Ja, es tue sich was im Jazz-Standort Deutschland, meint Esther Kaiser:
„Man musss erst das, was existiert, entdecken. Damit meine ich nicht Nostalgie im Sinne von Diana Krall. Es gibt da jetzt eine Generation, die das Erbe nimmt und neu kombiniert, das Eigene erkent und die daran glaubt, dass es möglich ist, gute Musik zu machen fern von Superstars und jenseits der großen Wirtschafts-Imperien.“