Frederik Köster Quartett – Constantly Moving
Jazz thing Next Generation Vol. 14
Ein Konzert beginnt um 20 Uhr. Oder aber um 20.30 Uhr. Eine Karriere startet man normalerweise mit 20 Jahren. Oder mit 24, vielleicht auch mit 28, manchmal gar erst mit 40. Wer mag schon den passenden Augenblick bestimmen, hält all jene zurück, die zu früh loslegen, holt die Zuspät-Kommer ab und bewahrt uns vor denen, die am besten nie aufgetaucht wären? Frederik Köster, der aktuelle Protagonist der „Next Generation“, vertraute in dieser Frage ganz auf seinen Bauch. Nicht nur deshalb ist die erste CD des Trompetentalents ein Ereignis.
Wenn es um die Einschätzung von Musikern geht, dann müssen sich Journalisten meist auf das verlassen, was ihnen Plattenfirmen oder PR-Agenturen so alles vorsetzen: vollmundige, vor Superlativen überquellende Pressetexte, ganz nach dem Prinzip „Der, die oder das Beste, Größte und Schönste“ gestrickt, völlig irreführend, aber immer wieder gerne genommen. Mitunter glänzt es dermaßen, dass es einen schon wieder blendet und den ungetrübten Blick auf das Objekt der Beurteilung verstellt. Was aber tut ein Künstler, wenn er keinen solchen Apparat hinter sich weiß? Im Fall von Frederik Köster mag dies sogar ein Segen gewesen sein. Denn die Publicity, die der Trompeter aus Köln vor gut einem Jahr unverhofft in einem Internetforum bekam, würde garantiert kein Waschzetteldichter so hinkriegen.
Den Cyberspace-Stein ins Rollen gebracht hatte ein befreundeter Gitarrist namens Martin Rudkowski. Während des gemeinsamen Kaffeetrinkens war beiden die Idee gekommen, etwas zusammen einzuspielen. Frederik, entsprechend bewaffnet, legte auch gleich los. („Na ja, eigentlich kein Zufall, den Typen gibt es quasi nicht ohne seine Trompete, ich glaube, er nimmt sie sogar mit ins Bett.“) Das Stück hieß „In The Heat Of The Night – Reloaded“, eine Art Hardcore-Fusion. Es haute Martin förmlich aus den Socken: „Fred ist der Typ, wegen dem ich fast mal mit dem Musikmachen aufgehört hätte, weil er mich so gnadenlos in allem überflügelt hat.“ Der Kerl habe mal eben zwei Takes gespielt. Das Ganze dauerte knappe fünf Minuten, dann saß der Freund auch schon wieder im Auto Richtung Köln. Die Reaktionen auf den ins Netz gestellten Track übertrafen alle Erwartungen: „Der Trompeter ist unglaublich!“ – „Was dein Freund Frederik da gezaubert hat, ist einfach ganz, ganz großes Kino!“ – „Die Trompete ist irre, der Hammer. Der Mann spielt auf Profiniveau, das ist nicht zu toppen! Sämtliche Hüte sind gezogen!“
Fred wirkt ein wenig verlegen. Von dem Forum hat er natürlich gehört und gleich zu Beginn hat er auch reingeschaut. Aber all diese enthusiastischen Kommentare: „Wusst‘ ich gar nicht!“ Anscheinend geht es jetzt tatsächlich los. Eines der größten deutschen Trompetentalente nach Till Brönner setzt im vorgerückten Alter von 28 Jahren endlich zum Karrieresprung an. Denn „Constantly Moving“ (Double Moon/sunny moon), die laufende Nummer 14 der „Next Generation“-Reihe, ist die erste CD, auf der „Köster“ vorne drauf steht. Ein Name, mit dem bislang nur eine handverlesene Schar etwas anfangen konnte.
Peter Herbolzheimer etwa, in dessen BundesJugendJazz-Orchester (BuJazzO) sich Fred fast parallel zu seinem Studium in Detmold und Köln von 2000 bis 2005 das notwendige Rüstzeug als Solist, Komponist und Arrangeur holte. Oder so prominente Kollegen wie Phil Woods, Albert Mangelsdorff, Ack van Rooyen, Klaus Doldinger, Nils Wogram oder Randy Brecker, die Mitglieder der WDR Big Band, des Cologne Contemporary Jazz Orchestra sowie der Bobby Burgess Big Band Explosion, des Benjamin Schaefer Trios und der Drei vom Rhein. Sie alle lernten die mannigfaltigen Talente des Mannes mit dem langen Atem und der stupenden Technik kennen und schätzen. Bei „Deutschland sucht den Superstar“ saß er im Februar in der Big Band, als sich die Kandidaten durch die Mottoshow „Swing“ piepsten und grummelten. Jede Menge Erfahrung also. Warum dann nicht schon früher? „Alles braucht eine gewisse Reife.“
Frederik Köster weiß genau: Erfolg kann man nicht übers Knie brechen, gerade in Zeiten, da Tonträger wie Hagelkörner vom Himmel prasseln. „Ich habe versucht, ganz bewusst auf diesen Punkt hinzuarbeiten, an dem ich mich wirklich hören lassen kann.“ Eigentlich waren er und sein Quartett (das damals noch Fredattack hieß) um Tobias Hoffmann (Gitarre), Robert Landfermann (Bass) und Ralf Gessler (Drums) vor zwei Jahren schon mal ins Studio gegangen. „Aber ich bin richtig froh, dass wir mit der Veröffentlichung noch gewartet haben“, findet der Bandleader. Jetzt, zusammen mit dem Gast Paul Heller am Tenorsaxofon, klinge alles halt noch einen Tick besser. „Ein Zeitzeugnis eben.“
Am Ende sei die Band nämlich noch lange nicht. Höchstens auf dem richtigen Weg. Aber das zeichnet Frederik Köster aus. Ein akribischer, verbissener, detailversessener Tüftler, der kaum etwas dem Zufall überlässt und sich nie mit der zweitbesten Lösung zufrieden gibt. Peter O‘Mara, der in München lebende australische Gitarrist, erinnert sich in den Liner notes zu „Constantly Moving“ an die erste Begegnung. Spät nachts sei er in der Unterkunft des BuJazzO angekommen und habe noch einen Rundgang unternehmen wollen, um die Atmosphäre im Haus zu spüren. „Plötzlich hörte ich Musik aus einem der größeren Räume. Als ich reinschaute, sah ich Frederik, wie er mit der Big Band an seiner jüngsten Komposition ‚The Delivery Girl‘ feilte. Eines der schönsten Stücke, die ich je für Big Band hörte.“ Fred habe ihm anschließend verraten, dass er drei Wochen für das Schreiben und Arrangieren brauchte. „Das ist typisch für ihn.“
Ein Mann, der weiß, was er will. Nämlich eine ganze Menge. Im Prinzip war das schon immer so. Früher übernahm er gerne den Part des eierlegenden Wollmilchschweins, verdingte sich in Pop-, Rock-, Funk- und Punkbands, bearbeitete dort leidenschaftlich Gitarre, Keyboards, natürlich auch Trompete und sang mitunter sogar. Bis langsam die Erkenntnis reifte: „Wenn man alles macht, dann verfällt man leicht in den Tran, dass man nichts wirklich gut kann.“ Also musste eine Entscheidung her. Die fiel schließlich zugunsten der Trompete, wobei Herbie Hancocks Meisterwerk „Maiden Voyage“ (Blue Note/EMI) dabei half, letzte Restzweifel zu beseitigen. Darauf bläst ein gewisser Freddie Hubbard, der vielleicht beste Techniker an den Ventilen des Jazz. „Bei ihm dachte ich: ‚Eieiei, das kann man alles auf dem Instrument machen? Also probier ich’s auch mal.“ Vor ein paar Jahren begegnete Fred seinem großen Idol Freddie zum ersten Mal live und war über dessen Verfall entsetzt. „Ich hab beinahe heulen müssen, so traurig war es.“
Ein bisschen von der Attack des jungen Freddie Hubbard hat Fred in die Gegenwart gerettet, ebenso wie Chet Bakers Vokal-Affinität („Singen ist die Urform. Wer das nicht kann, der ist einfach nicht musikalisch“) oder die farbliche Vielfalt eines Miles Davis. Aber inzwischen streift er alles Vergleichende mit einem lockeren Schlenker ab. Auf seiner CD erklingt keine perfekte Kopie, sondern der selbstbewusste, kraftvolle, frische, nach allen Seiten offene Stil eines Arrivierten. Der von Frederik Köster. Eines Jazzmusikers? „Irgendwie passt das nicht zu mir. Ich mag vieles: Dvorak, Strawinsky, Nirvana, Clark Terry. Alles ist Musik. Es geht nur darum, sein eigenes Profil zu finden.“ Und den richtigen Zeitpunkt dafür.