Kiesewetters GammaRama
Der Strahlenmann
Saxofonisten scheinen ein Faible für die klassische Besetzung zu pflegen: Nicht nur in der Jazz thing Next Generation betreiben die meisten ihr Quartett mit Klavier, Bass und Schlagzeug. Der junge Mann, der mit seinem Album das nächste halbe Hundert unserer Reihe eröffnet, pflegt eine andere Vorliebe. Er bevorzugt in seiner Band Gitarre statt Tasten. Dafür hat Jan Kiesewetter gute Gründe auf Lager.
„Es hat etwas mit dem Klang zu tun. Ich spiele sehr gerne mit Gitarre, weil das dem Ganzen mehr Transparenz verleiht als mit einem Klavier im Quartett. Außerdem mag ich einfach den Sound einer elektrischen Gitarre, von schön voll bis angezerrt.“
Jan Kiesewetter schwärmt vom Zusammenspiel eines Sonny Rollins mit Jim Hall, er erwähnt Scofield und betont schlicht: „Ich mag es, wenn viel Platz ist.“
Dem Namen nach könnte der Protagonist des JTNG-Albums Vol. 51 eher an der Wasserkante angesiedelt sein, selbst sprachlich tönt es frei von Lokalkolorit aus seiner Kehle. Doch von wegen Ostfriesland. Jan Kiesewetter ist in Augsburg geboren, hat dort seine ersten musikalischen Gehversuche gemacht und ist dabei auch auf den Jazz gekommen. Am Anfang stand natürlich ein klassisches Kinderinstrument, dann – „nach intensiven Blockflötenstudien“, vermerkt Kiesewetter am Rande – wechselte er zur Klarinette über. Schuld daran war der große Bruder Ulf, der ist sechs Jahre älter und selber Klarinettist von Beruf. Mit 16 war ein weiteres Instrument fällig. „Ich wollte in der Bigband meiner Schule mitspielen, aber die brauchten keine Klarinette. Also lernte ich Saxofon.“
Bis zum Musikstudium und der eigenen Band hat es dann etwas gedauert; und auch hier tritt der große Bruder wieder auf den Plan. „Ich hatte Politikwissenschaft angefangen und schnell wieder abgebrochen. Mein Bruder meinte: Wieso hast du eigentlich keinen Bock, Saxofon zu studieren? Üb‘ mal gescheit und spiel am Konservatorium vor! Das klang plausibel, zumal ich Lust drauf hatte und das die einzige Sache ist, wo ich lange durchhalten kann, wo es mir nicht langweilig wird“, erzählt Kiesewetter mit leichtem Understatement. „Ja, mein Bruder hat mich angestupst.“
Herausgekommen ist ein virtuoser Musiker, der in seinen eigenen Kompositionen eine große Sympathie für die Legenden mit der eigenen Biografie vereint, in der Typen wie Thelonious Monk, Dexter Gordon, Nirvana und Soundgarden eine Rolle gespielt haben und es oft noch tun. Er schattiert Farben des Bop mit rockigen Sounds, lässt simple Bluesformen auf schräge Töne treffen, schreibt auch mal ein lyrisch angehauchtes Schätzchen für die Herzdame und verschafft in seinen Themen den Musikern seines Quartetts viel Freiraum.
Weil er sich 2011 für den Kunstförderpreis der Stadt Augsburg bewerben wollte (und den gewann er dann auch), aber noch keine Band hatte, ging Kiesewetter auf die Suche nach geeigneten Musikern. Auf seiner Website flachst er: „Die erste Band der Welt, die meine eigenen Stücke spielt, habe ich selbst gründen müssen.“ So schwer war es aber nicht, denn Schlagzeuger Tilman Herpichböhm ist seit der Schulzeit ein bester Kumpel, mit dem Gitarristen Bernd Huber hat er schon während des Studiums in verschiedenen Formationen gearbeitet; nur mit dem Mann am Kontrabass hatte der Saxofonist zuvor nicht gejammt. „Uli Fiedler ist schon eine Art alter Hase, und ich mag sein Spiel. Ich fragte ihn, er hatte Bock und ich habe mit ihm einen Volltreffer gelandet“, freut sich Kiesewetter, der seinen Vierer auf den Nachnamen GammaRama getauft hat. Wegen der Gammastrahlen, die alles durchdringen, und weil er mit der Band das ganze Panorama seiner Kunst präsentiert.
Das Preisgeld der Stadt investierte der Tenor- und Sopranspieler im Sommer 2012 in die Produktion seines Albums. Das Debüt hat er „For The Cats“ (Double Moon/New Arts Int.) getauft; das klingt hip und forsch, lässig und witzig. Mit „Theloniosis“ gibt Kiesewetter eine treffende Widmung an ein Vorbild zum Besten: „Es beschäftigt sich mit meiner ‚Thelonious-Monk-Infektion‘, die ich nicht mehr loskriege“, sagt der Augsburger, der es auch in Sachen Sprachwitz mit manchen alten Jazzern hat. Für seine Stücke findet er Titel wie „Sphere Was Here“, assoziiert bei einem atmosphärischen Track namens „Phase IV“ die Tiefschlafphase und rockt beim Titelstück, einer „Jamnummer, die wir oft am Ende eines Konzerts spielen. Immer laut und voll auf die Mütze.“ Und immer viel Platz für Improvisation. Dass alle Musiker von Kiesewetters GammaRama voll auf ihre Kosten kommen, ist klar:
„Finde ich wichtig, weil mir das vielleicht auch zeigt, dass die Jungs Lust haben, mein Zeug zu spielen. Das ist doch beruhigend“, strahlt Jan. „Ich sehe mich nicht als Typen, der da vorne steht und das Solo bläst. Das ist nicht mein Ding. Jeder soll den Platz bekommen, den er haben will.“