Gilles Grethen

Noten zum Leben erwecken

Man kann nicht müde werden, hervorzuheben, was seit einigen Jahren da bei unseren Nachbarn passiert. Auch die „Jazz thing Next Generation“ bedient sich gerne aus dem reichen Luxemburger Talentefundus. Nach Michel Meis und Claire Parsons folgt innerhalb kurzer Zeit nun mit dem Gitarristen Gilles Grethen wieder ein Vertreter des kleinen Landes. Auch er entpuppt sich als visionärer, kluger Zeitgenosse mit einer klaren Perspektive.

Gilles Grethen Quartet – Time Suite (Cover)

Einmal mehr stellt sich die Frage: Wo kriegt das kleine Luxemburg bloß immer wieder solche Musiker her? Gilles Grethen muss nicht lange überlegen: „Aus den Schulen! Dort hat jeder die Möglichkeit, bereits in jungen Jahren für sehr wenig Geld eine sehr gute musikalische Ausbildung zu erhalten. Diese umfasst Notenlesen und das Erlernen mindestens eines Instrumentes. In Deutschland ist das noch nicht so.“

Wenn Grethen, der inzwischen in Saarbrücken lebt und seit 2020 in Mannheim an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst sein Masterstudium in Jazz-Komposition absolviert, deshalb vom „Luxemburger System“ spricht, dann klingt daraus auch der Stolz, mithilfe dieser landestypischen Besonderheit tatsächlich seine Berufung gefunden zu haben. Immerhin ist der 27-Jährige als deren Nutznießer das jüngste Beispiel einer Entwicklung, die bei nicht wenigen sogar in die bunte Abenteuerwelt des Jazz mündet.

Selbst in Sachen Universitäten scheint Luxemburg trotz seiner Überschaubarkeit den anderen einen Schritt voraus. Konservatorien mit Jazz-Departements gibt es in Esch und Luxemburg-Stadt – Letzteres besuchte Gilles Grethen.

Doch ohne ein gerüttelt Maß Talent wäre wohl jeder selbst in einem hoch musikalischen Land wie diesem auf verlorenem Posten gestanden. Der junge Saitenarchitekt bekam dies quasi in die Wiege gelegt. Vater Luc Grethen arbeitet als Professor für Musikerziehung sowie Lehrbeauftragter für Musikgeschichte am Hauptstädtischen Konservatorium in Luxemburg, während Mutter Christiane Grethen-Gras einen klingenden Namen als Fagottistin besitzt. „Ich durfte schon früh mit in die Konzertsäle. Für mich war es eigentlich immer klar, dass ich auch irgendwann auf so einer Bühne stehen und das beruflich machen will.“

Gesagt, geübt: Grethen junior, der sich bis 15 ausschließlich von Klassik berieseln ließ und neben der Violine noch Klarinette und Schlagzeug lernte, wurde von einem Tag auf den anderen mit einem Virus infiziert, gegen den offenbar immer noch kein Impfstoff hilft. Als er Wes Montgomerys Klassiker „Smokin‘ At The Half Note“ und kurz danach dann Grant Green zu Ohren bekam, war es um ihn geschehen: „Die beiden agierten zwar traditionell, aber mit sehr vielen modernen Ideen.“ In den zurückliegenden Jahren hat Grethen zusätzlich Kurt Rosenwinkel als inspirierenden Leuchtturm auserkoren, über den er sogar seine Bachelorarbeit schrieb. „Ich habe einmal versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen, aber bislang ohne Ergebnis.“ Mal sehen, ob der Wahl-Berliner vielleicht durch „Time Suite“ (Double Moon/Bertus), das Debütalbum von Gilles Grethen und die laufende Nummer 88 in der „Jazz thing Next Generation“-Reihe, auf seinen Fan aufmerksam wird.

Gilles Grethen Quartet

Dass sich in der Band mit Drummer Michel Meis (Nummer 76) ein weiterer Luxemburger Protagonist der erfolgreichen und langlebigen Nachwuchsreihe tummelt, unterstreicht die Bedeutung des gemeinsamen Kreativnestes. Mit dem Trierer Trompeter Vincent Pinn und dem italienischen Bassisten Gabriele Basilico kolorieren die beiden als unkonventionell besetztes Quartett sechs bilderreiche, lyrisch-melancholische Kompositionen Grethens, die fein zwischen Tradition und Moderne oszillieren und als Suite strukturiert wurden – weniger nach den Gesetzen der Klassik mit festgelegten Metren, sondern vielmehr als eine Art Grundidee, bei der ein roter Faden allzeit erkennbar bleibt. So taucht das Thema des Openers „Stars & Astroids“ in abgewandelter Form auch im Finale „Remembering“ auf. „Das entspricht ganz meiner Klangvorstellung, die ich im Kopf hatte“, erklärt Grethen, „kein Klavier, stattdessen einen ganz besonderen Bläser, einen Trompeter, auch weil Vincent mit mir zusammen studiert.“ So entwickelt sich eine spürbare Wärme, die jede Note zum Leben erweckt. Die vier lösen sich nahezu vollständig von den üblichen Rollenmustern Solist und Rhythmusgruppe. Und die Gitarre – obgleich überaus virtuos – spielt eher eine dienende Rolle.

Wie überhaupt Gilles Grethen beim Schreiben von Musik andere Wege sucht: „Ich komponiere überhaupt nicht an meinem Instrument, sondern schreibe einfach auf, was mir in den Sinn kommt. Erst danach überlege ich, wie ich das verteilen kann.“ So klingt einer, der einen klaren Plan hat und mehr will als den schnellen Kick – zum Beispiel nachhaltige Musik.

Auf Grund der unsicheren Live-Situation:

Bitte besuchen Sie regelmäßig die Webseite des Künstlers:
www.gillesgrethen.com

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Text
Reinhard Köchl

Veröffentlicht am unter 139, Heft, Next Generation

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