Jonas Timm

Leidenschaft und Obsession

Der Leipziger Pianist Jonas Timm leitet ein Quintett mit gleich drei Harmonieinstrumenten. Auf „Morbu“ (Double Moon/Bertus) zeigt er mit dem akustischen Gitarristen Bertram Burkert und Tino Derado am Akkordeon, wie man sich trotzdem nicht ins Gehege kommt. Bassist Lorenz Heigenhuber und Schlagzeuger Diego Piñera machen diese neueste „Jazz thing Next Generation“-Band komplett.

Jonas Timm – Morbu (Cover)

Es ist eine transparente und leicht zugängliche Musik voller beseelter Melodien und raffinierter Rhythmen, die Timm und seine Mitstreiter geschaffen haben. Dabei fällt beim Studieren des CD-Covers gleich ins Auge, dass fast alle Musiker Songs zum Album beigesteuert haben – eine Tatsache, die dem Bandleader wichtig ist.

„Bevor wir ins Studio gegangen sind, haben wir uns erst einmal zwei Jahre lang kennengelernt“, erzählt Timm. „Von Bertram kannte ich schon sehr viele Stücke und wusste, aus welcher Richtung ich von ihm etwas haben möchte. Tinos Stück hat sich nahtlos eingefügt, und Diego hat sein Stück für mich geschrieben. Ich wollte etwas mit uruguayischem Hintergrund mit eingebetteten Tänzen. Für mich schafft das eine ganz andere Art von Verbundenheit, und es ist sehr inspirierend, andere Komponisten an Bord zu haben.“

Fünf der elf Stücke stammen dann aber doch aus Timms Feder, und sie zeigen die Fähigkeiten des Pianisten, für diese ungewöhnliche Besetzung Musik zu kreieren, die den Musikern vor allem im Zusammenspiel viel Raum gibt.

Jonas Timm

Jonas Timm ist in Berlin aufgewachsen und hat schon mit vier Jahren angefangen, Klavier zu spielen. Das war den Eltern zu verdanken, die beide im Chor singen und einen Flügel im Wohnzimmer stehen hatten. Schon als Steppke konnte Timm sich etwa für Oscar Peterson begeistern, und so hat er folgerichtig in Leipzig Jazz studiert – zwei Jahre bei Richie Beirach und vier Jahre bei Michael Wollny. Auch Tino Derado, der jetzt in seiner Band Akkordeon spielt, zählte einmal zu seinen Lehrern, denn er ist ja bekanntlich auch ein vorzüglicher Pianist. Bertram Burkert und Lorenz Heigenhuber hat Timm ebenfalls in Leipzig kennengelernt. Fast noch wichtiger für seine musikalische Entwicklung war allerdings ein Aufenthalt in Barcelona vor einigen Jahren. Dort hat Timm nicht nur die Nachwehen der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen miterlebt, sondern auch musikalische Entdeckungen gemacht.

„Dort wurde mir schnell klar, dass ich unbedingt etwas mit akustischer Gitarre machen möchte und auch mit Akkordeon“, berichtet der Pianist. „Da haben mich auch die Platten von Heinrich Köbberling ziemlich inspiriert.“

Seine Begeisterung für lateinamerikanische Musik hat in Barcelona auch neue Nahrung erhalten.

„Ich möchte sie auf der einen Seite mit fetten, schweren Grooves kombinieren und dabei eine ganz leichte und fragile Melodieführung haben“, beschreibt Timm sein musikalisches Credo. „Drei Harmonieinstrumente sind natürlich ziemlich krass, aber meinem Klavierspiel kommt das entgegen. Ich bin nicht der Pianist, der permanent mit zwölf Fingern spielt, sondern lasse anderen auch gerne Platz und spiele auch mal einfach nicht und höre nur zu.“

Eitle Vorführung von Virtuosität ist die Sache dieser Band in der Tat nicht, und genau so wichtig wie die beteiligten Instrumente sind Jonas Timm die Menschen, die sie spielen.

„Mit allen vier Musikern bin ich schon sehr lange verbunden und befreundet“, sagt er, „mit Bertram spiele ich schon seit sieben Jahren.“

Eine der wenigen Fremdkompositionen auf „Morbu“ ist das Traditional „El Cant Dels Ocells“, das ebenfalls mit Katalonien zu tun hat und von der Band rasant interpretiert wird.

„Das Stück hat Pablo Casals immer gespielt, und es ist so etwas wie die heimliche katalanische Unabhängigkeitshymne“, weiß Jonas Timm. „Eigentlich ist es ein Weihnachtslied. Wir haben dann in die Mitte so ein Ostinato-Improvisationsteil mit einem fetten Schlagzeugsolo eingebaut, der Trauer und Nationalstolz miteinander verbinden soll.“

Diese Ambivalenz – Trauer über die fehlenden demokratischen Möglichkeiten in Katalonien, die mit dem katalanischen Nationalismus, der mit ihr einhergeht, eigentlich nicht so ganz zusammenpasst – zeigt sich auch im Albumtitel. Denn „Morbu“ ist ebenfalls ein katalanisches Wort, das sich aber nicht ganz eindeutig übersetzen lässt.

„Es drückt so etwas wie eine fast schon krankhafte Obsession aus, aber eben nur fast“, erläutert Jonas Timm. „Es ist ein sehr leidenschaftliches Wort, das mir in seiner Ambivalenz sehr passend für unsere Musik erscheint.“

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Text
Rolf Thomas

Veröffentlicht am unter 143, Heft, Next Generation

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