Maik Krahl Quartet

Entscheidung gefallen!

Es ist wie beim Dominospiel: Kippt der erste Stein, fallen auch der zweite und dritte. Wer diesen Prozess in Gang setzt, übernimmt Verantwortung für das, was folgt. Wie schwer das Auslösen einer solchen Kausalkette oft sein kann, darüber hat sich Maik Krahl so seine Gedanken gemacht. Richtig oder falsch? Der Trompeter wagt jedenfalls eine Menge bei seinem Erstling und überwindet damit auch eine eigene Grenze.

Maik Krahl Quartet – Decidophobia (Cover)

Es ist ein komplexes Thema, das viele Menschen betrifft. Und ein Bekenntnis: Maik Krahl thematisiert Angst. Dabei geht es ihm weniger um Versagensängste oder Selbstzweifel. Krahl meint die Angst vor Entscheidungen, die Angst, etwas zu tun, das man hinterher womöglich bereuen könnte und das einen das weitere Leben verfolgt. Die Angst, einen irreparablen Fehler zu begehen, sich dadurch die Zukunft zu verbauen, zurückgewiesen zu werden oder anzuecken. Tatsächlich gibt es Zeitgenossen, die dazu neigen, die Antwort auf drängende Fragen hinauszuschieben in der Hoffnung, dass sich alles schon irgendwie von selber lösen wird. Aber ein Problem auszusitzen, vergrößert es in den allermeisten Fällen sogar noch.

Die Psychologie nennt dieses Phänomen Decidophobie.

„Vor allem als Jazzmusiker ist man gezwungen, ständig Entscheidungen zu treffen. Alles, was man tut, hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Band, auf den Charakter des Stückes. Man kann sich nicht auf irgendwelchen Mechanismen ausruhen. Es geht darum: Mit welchen Musikern nehme ich auf, welche Stücke kommen auf die Platte?“, erklärt Maik Krahl. Dabei sei weniger die Angst vor den möglicherweise negativen Konsequenzen gemeint, versichert der Trompeter. „Ich würde es eher Entscheidungsunsicherheit nennen.“

Denn für Krahl geht es im aktuellen Fall durchaus um einiges: Immerhin ist es sein erstes Album unter eigenem Namen, das noch dazu in der viel beachteten „Jazz thing Next Generation„-Reihe erscheint, die seit beinahe 15 Jahren die deutschsprachige Szene regelmäßig mit frischem Blut und neuen Helden versorgt. Als wäre dies nicht schon genug der Bürde, darf Maik Krahl auch noch aktuell die Kerze auf dem Geburtstagskuchen spielen, denn ausgerechnet er ist der 75. JTNG-Protagonist. Für ihn offenbar genügend Anlässe, sein Debüt selbstkritisch „Decidophobia“ (Double Moon/in-akustik) zu nennen. Na, dann herzlichen Glückwunsch!

Maik Krahl (Foto: Alessandro de Matteis)

Dabei müsste der 1991 in Bautzen geborene Musiker eigentlich keinen Grund zur Sorge haben. Die sieben Songs der CD, die er mit Bruno Müller (Gitarre), Oliver Lutz (Bass), Hendrik Smock (Schlagzeug) und Constantin Krahmer (Piano) einspielte, strotzen nur so vor mutigen Einfällen, verblüffenden Lösungen, kompositorischer Finesse und stupender Virtuosität. Dabei lässt sich ein interessantes Portfolio an Einflüssen heraushören, das Maik Krahl während seiner Studien an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden wie auch an der Folkwang Universität der Künste in Essen gierig absorbierte. Worüber sich niemand bei Lehrern wie Till Brönner, Malte Burba und Ryan Carniaux wundern sollte. Für Brönner repräsentiert Krahl sogar die aktuelle Spitze der deutschen Jazztrompeter seiner Generation: „Seine musikalischen Wortmeldungen bereichern mich und lassen mich mit Vorfreude in die Zukunft eines gesamten Genres blicken.“

Dass Entscheidungen angesichts solcher Vorschusslorbeeren nicht gerade leicht sein können, liegt auf der Hand. Maik Krahl wählte eine dezent swingende Gangart mit einer schlank agierenden Rhythmussektion, „was auch meinem starken Bezug zur Jazztradition, zu großen Trompetern wie Chet Baker, Kenny Dorham, Clifford Brown und Louis Armstrong entspricht“. Eigene Kompositionen wie „Dance Little Walnut Dance“, „Demian“, „Number 3″, „Via Metauro“, „It Happend To Me“, „Ombrophily“ oder das Titelstück wirken auf eine erfrischend lockere, bescheidene Art modern, während der Bandleader mit seiner Entscheidung, seinen mild glimmenden, robusten Trompetenton in weiten Teilen mit einem elektrischen Phaser zu verstärken, einen mutigen Schritt in ein kaum erschlossenes Niemandsland wagt. „Das machen nicht viele. Ich finde es gut und habe es deswegen auch probiert.“

Maik Krahl mag viel über Falsch oder Richtig, Sinn oder Unsinn grübeln. Gerade weil er nichts dem Zufall überlässt, klingt sein Erstling vor allem mutig. So, als würde hier einer kopfüber von der Klippe springen, nicht wissend, ob er unten ins Wasser eintaucht. Ein Risiko, das sich gelohnt hat, auch für Ryan Carniaux. Er habe es nicht bereut, schreibt er in den Liner Notes, dieser großartigen CD seine Zeit zu schenken. Also exakt die richtige Entscheidung!

Booking MaWeMarketing I Martina Weinmar

Text
Reinhard Köchl
Foto
Alessandro de Matteis

Veröffentlicht am unter 126, Heft, Next Generation

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