Noé Tavelli & The Argonauts Collective
Alle in einem Boot
Group? Langweilig! Quartett? Macht doch jeder! Warum nicht, wie im Fall von Noé Tavelli, gleich eine Anleihe aus der griechischen Mythologie wählen, noch dazu, wenn sie reizvolle Parallelen zur eigenen Geschichte aufweist? Denn der schweizerische Schlagzeuger und aktuelle Protagonist der „Jazz thing Next Generation“ erlebt mit seinen modernen Argonauten ähnliche Abenteuer wie sein historisches Alter Ego.
Der Sage nach war Jason, der Sohn des Königs von Jolkos, ein ziemlich schneidiger Zeitgenosse. Er hatte alles, was man braucht, um jedes Schlachtfeld als strahlender Sieger zu verlassen, aber auch, um dort krachend unterzugehen. Eine gewisse Naivität lässt sich dabei nicht ganz von der Hand weisen. Noé Tavelli muss lächeln: „Glauben Sie, dass ich naiv bin?“ Immerhin hat der 1992 in Genf geborene Schlagzeuger und 78. Protagonist der „Jazz thing Next Generation“ durchaus bewusst für sein erstes großes Bandprojekt den Bezug zu den Argonauten ausgewählt – jener Ansammlung der größten Helden Griechenlands, die sich mit Jason auf die Suche nach dem Goldenen Vlies begeben und dabei gegen Bronzetitanen kämpfen, Harpyien unschädlich machen, eine gefährliche Meerenge durchqueren sowie eine siebenköpfige Hydra und einen Trupp bewaffneter Skelette besiegen müssen.
„Schöne Bilder. Ich stelle mir das gerade vor“, sinniert Tavelli nach dem Soundcheck für ein Konzert, für das er und sein Argonauts Collective drei Stunden später im Club Les Faux Nez in Lausanne auf der Bühne stehen sollen. All die Kämpfe und Gefahren, der ungewisse Ausgang: So muss sich jeder Newcomer im Jazzbusiness fühlen, gerade, wenn er nicht auf ausgelatschten Pfaden unterwegs sein will.
„Die Argonauten fuhren mit ihrem Boot, der Argo, übers Meer. Wir sind vier Freunde und haben ebenfalls den Sprung gewagt, sind von der Schweiz oder Italien aus nach New York gegangen.“
Dort fanden sie zueinander, verstehen sich als Kollektiv, jeder ist gleichberechtigt und Noé so etwas wie der Primus inter Pares, der den Kurs vorgibt und mit seinen Gefährten Matthias Spillmann (Trompete, Flügelhorn), Francesco Geminiani (Tenorsaxofon) und Fabien Iannone (Bass) mutig in jedes Abenteuer zieht. „Die Argo bestand aus Holz und segelte mit dem Wind. Unsere Instrumente bestehen auch aus Holz und werden geblasen. Damit bewegen wir uns vorwärts.“ Wieder so ein schönes, durchaus zutreffendes Bild.
Dazu passt, dass „Noé Tavelli & The Argonauts Collective“ (Double Moon/New Arts) auf ihrer gleichnamigen Debüt-CD gänzlich auf ein Klavier verzichten und sich als akkordloses Quartett präsentieren, das auf ebenso intelligente wie überraschende Art auf der Schnittstelle zwischen Tradition und Moderne balanciert. Der Sound der zehn Titel – davon acht aus der Feder Tavellis – ist roh, warm und nahbar zugleich.
„Es geht uns um Freiheit, aber auch um die Verantwortung gegenüber dem Gesamtprojekt, was natürlich eine gewisse Disziplin erfordert.“
Nicht der einzige Ratschlag, den der schweizerische Jason an der Manhattan School of Music von seinen Lehrern John Riley, Justin DiCioccio und Jim McNeely bekam.
Trotz seiner erst 27 Jahre blickt der Hochbegabte und Hochdekorierte (2015 bekam er den Preis der Friedl Wald Stiftung) auf ein beachtliches Portfolio an Projekten zurück, unter anderen mit Dee Dee Bridgewater, Dave Liebman, Ohad Talmor und Edsel Gomez. Dennoch muss der Big Apple keine weitere europäische Invasion fürchten.
„Wir fühlen uns eindeutig zur amerikanischen Art des Jazz hingezogen“, stellt Tavelli klar. „Mir hat das von Anfang an gefallen: die Jazz Messengers, Charlie Parker … Ihre Musik ist etwas ganz Besonderes, sehr rhythmusbetont, voller Energie. Die Rolle des Schlagzeugs und die Art, wie es dort bedient wird, haben mich geprägt.“
Bei Noé geht es weniger um Melodien und Tonleitern, die sanft über das Drumset rollen, als vielmehr um Groove – direkten oder vertrackten. Deshalb fallen ihm bei der Frage nach seinen Vorbildern vor allem Namen wie Billy Higgins, Roy Haynes, dessen Enkel Marcus Gilmore, sein eigener Mentor Eric McPherson (Fred Hersch) und Craig Weinrib (Henry Threadgill, David Virelles) ein – was automatisch impliziert, dass es ihm weniger um einen langweiligen Retroaufguss geht als vielmehr um eine lebhafte Weiterdeutung der Tradition, eine zeitgemäße Variante für richtig coole Musik.
„Jason und die Argonauten haben tatsächlich das Goldene Vlies mit nach Hause gebracht“, grinst Noé Tavelli, „und danach wollte Zeus, dass sie gleich wieder losziehen.“
So lässt sich mit einem Gleichnis aus der griechischen Mythologie perfekt der Startschuss zu einer vielversprechenden Karriere umschreiben.
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