Nora Benamara

Von Ort zu Ort

Die Magie und Bedeutung von Orten erforschen und sich Experimenten öffnen: Auf ihrem Solodebüt „Amnesia“ (Double Moon/Bertus) wagt sich Nora Benamara nach ihrem Duoalbum mit dem syrischen Sänger und Pianisten Aeham Ahmad „Sununu“ (2020) an die Formulierung ihrer eigenen musikalischen Sprache. Im weiten Feld zwischen zeitgenössischem Jazz, moderner Klassik und Avantgarde-Pop unterwegs, gab Nora Benamara im Gespräch mit Helmut Heuer Einblick in ihre Wahrnehmung von Erinnerungen.

Nora Benamara – Amnesia (Cover), Jazz thing Next Generation Vol. 104

Zunächst einmal ist es ein Team, auf das Nora Benamara vertraut: André van der Heide (Schlagzeug), Lorenz Heigenhuber (Bass) und Olga Reznichenko (Klavier) geben ihren Kompositionen Sicherheit, Raum und Kraft. Das tut „Amnesia“ gut.

„Es sind ein paar ältere Stücke dabei, auch aus der Coronazeit. Es war eine sehr introspektive Phase, in der ich viel allein war. Trotzdem habe ich mich auch sehr von meiner Band beeinflussen lassen. André und ich beispielsweise haben zusammen studiert und schon in unterschiedlichen Kontexten gemeinsam Musik gemacht, Olga und Lorenz sind dann etwas später dazugekommen.“

Benamara lässt ihren Mitmusiker/-innen Raum für Input, beteiligt sie am Entstehungsprozess:

„Also, ich bin eher ein Mensch, der das Gefühl hat, es ist nie fertig. Ich komme zwar mit einer fertigen Komposition, aber wünsche mir, dass sie es sich aneignen, auch verändern, sich bei Entscheidungen engagieren“, sagt Benamara. „Es gibt auf ‚Amnesia‘ viele Teile, die frei zu improvisieren waren. Ich finde, das hat die Musik sehr bereichert.“

Ein Set-up, das auf Vertrauen und Freiheit beruht, ist gut. Wer jedoch trifft am Ende die Entscheidung, was davon auf dem Album landet? Ist Nora Benamara vielleicht nicht nur Komponistin und Sängerin, sondern auch Produzentin?

„Ab wann darf man sagen, dass man Produzentin ist?“, bedenkt sie. „Da bin ich mir manchmal unsicher. Die künstlerischen Entscheidungen treffe ich schon selbst, und beim Aufnahmeprozess habe ich natürlich auch mitgewirkt. Ich tausche mich mit Kollegen oder ehemaligen Professoren aus. Steffen Lütke ist der, der alles aufgenommen hat. Martin Ruch hat gemischt und gemastert. Auch im Editing, Mischungsprozess, und Mastering entstehen viele Visionen. Ich bin jemand, der sehr viele Fragen stellt, denn man kann im gemeinsamen Austausch so viel erreichen.“

Nora Benamara (Foto: o.A.)

Was ist der rote Faden bei „Amnesia“, gibt es wiederkehrende Themen?

„Kindliche Neugier, Liebe für das Leben und die daraus entstehende große Energie. Ich fühle, dass ich diese Energie in meiner Musik habe“, fällt Benamara sofort ein.

„Dynamische Musik ergibt Sinn für mich. Ich habe sowohl diese kontemplative, ruhige als auch eine sehr ausbrechende Energie, so wie ein Feuer.“

Ist das etwas, das durch das Leben in einer großen Stadt wie Leipzig befeuert wird?

„Genau, ich lebe in der Stadt. Mittendrin, und es ist ja eine ordentlich große Stadt. In der Lockdownzeit war ich oft auf dem Land, umgeben von Natur. Den Aspekt, wie ich mich dort fühlte, vergesse ich unter Umständen im Stadtleben. Aber es ist eben auf dem Land nicht so einfach, eine kreative Basis zu finden.“

Auch die Suche nach Zugehörigkeit zieht sich als Thema durch „Amnesia“. „Home On Earth“ ist ein Song, der diese Thematik durchleuchtet.

Ja, das ist eine Art ‚Fantasygeschichte‘. Sie entstand in einer Zeit, in der ich mich viel mit Migration und den Realitäten von Menschen beschäftigt habe, die es schwer haben, die nicht die Chance hatten, am ‚richtigen‘ Ort geboren zu sein. Mit Geschichten von Menschen, die aus furchtbaren Situationen heraus migrieren mussten und in einem Land landen, wo sie mit Feindlichkeit konfrontiert werden – Geschichten von dem Schicksal, immer nach einem Ort zu suchen, wo man zu Hause ist.“

Insbesondere die fast sieben Minuten von „Non Lieu“ suchen sich zwischen Klassik, Folk, Jazz und Pop einen genauso nachdenklichen wie überraschend positiven Weg:

„In ‚Non Lieu‘ ging es mir um die Frage nach Freiheit. Ich bin an einem Ort geboren, aber ich lebe an einem ganz anderen Ort. Ich habe viele Einflüsse, diese Orte machen mich aus, ich denke in meinen Grenzen. Für mich ist es immer ein Thema, dieses ‚Sich-verloren-Fühlen‘ oder nicht genau zu wissen, wo man hingehört. Ich bin 2015 nach Deutschland gekommen, um Musik zu studieren. So gut wie hier, glaube ich, ist es woanders selten. Das hat mich sehr motiviert. Meine Eltern sind beide migriert. Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Algerier, ich bin in Frankreich aufgewachsen. Ich fühle mich daher manchmal fremd, aber genau dadurch ist es auch oft eine Möglichkeit, eine Chance, offen für etwas zu sein.“

Jazz thing präsentiert
Nora Benamara
27.09.Leipzig, Kulturhof Gohlis
05.10. Weimar, mon ami
06.10. Erfurt, Franz Mehlhose
24.10. Bremen, Mensa13
30.11. Pohrsdorf, Saxstall

Booking MaWeMarketing | Martina Weinmar

Text
Helmut Heuer

Veröffentlicht am unter 155, Heft, Next Generation

GESOBAU Jazz&Soul Award 2024