Offshore

Seemannsjazz vom Rheinufer

Musik zu machen, ist die eine Sache, ihr einen tieferen Sinn zu geben, die andere. Dass dieser bei Offshore ausgerechnet in den Weiten des Ozeans liegt, hat nur am Rande etwas mit der Herkunft der beiden Gründungsmitglieder zu tun. Die fünf reizt die Herausforderung, es einmal auf abseitigen Wegen zu versuchen, um dann wieder in ihren Heimathafen zurückkehren zu können. Insofern die perfekte Besetzung für den Start der „Jazz thing Next Generation“ ins mittlerweile zehnte Jahr.

Offshore - Côte de Cologne (Cover)

Jedes Klischee wartet doch eigentlich nur darauf, genüsslich in Fetzen gerissen zu werden. Manchmal aber bestätigen sich gerade die härtesten Vorurteile auf eine verblüffend selbstverständliche Weise. Da heißt es zum Beispiel von Nordlichtern, dass durch deren Adern grundsätzlich Meerwasser fließe. Schietkram! Aber dann kommen zwei, die nicht einmal direkt an der Nordsee, sondern in der entlegenen Lüneburger Heide groß geworden sind. Die es der hehren Kunst wegen ins weit entfernte Köln zog und die sich mit Haut und Haaren dem weltmännischen Jazz zuwandten – der eine über einen wahren instrumentalen Exoten, nämlich das Vibrafon, der andere über das Piano. Genügend Abstand, möchte man meinen. Doch ausgerechnet Dierk Peters und Constantin Krahmer schlagen zusammen mit dem aus Schwerin stammenden Tenor- und Sopransaxofonisten Christoph Möckel, dem Hanauer Bassisten Oliver Lutz sowie dem in Siegburg geborenen französischen Drummer Rafael Calman mit ihrer akustischen Visitenkarte für die „Jazz thing Next Generation“-Reihe tatsächlich wieder eine Alliterationsbrücke zurück zur Waterkant. „Côte De Co­logne“ (Double Moon/Challenge) heißt die Debüt-CD von Offshore, und Peters lächelt ob des Wortspiels verschmitzt:

„Wir fanden, dass es einfach gut klingt. In Köln gibt es ja das Rheinufer. Außerdem duftet dieser Titel nach mehr. Das passt zu unserer Musik.“

Offshore

Die Nähe zur christlichen Seefahrt bemühen Offshore (was übersetzt so viel bedeutet wie „auf hoher See“ oder „küstennah“) sogar im Infotext ihrer Homepage. Da ist von einer Band die Rede, die „voller Spielfreude geradewegs da­rauflos segelt, ohne sich von Wind und Wetter einschüchtern zu lassen“. Trotz der unorthodoxen Besetzung mit zwei Harmonieinstrumenten glauben die virtuosen Matrosen felsenfest daran, „komplizierte Spontanmanöver“ vollführen zu können. Und dann lassen sie sich vom Formulierungsstrudel vollends in die Untiefen des Wortmeeres reißen:

„Hohen rhythmischen Seegang wie auch lyrische Momente bei spiegelglatter Wasseroberfläche meistert die Crew gleichermaßen bravourös. Ein eingespieltes Team, das jeder stilistischen Witterung trotzt.“

Klingt nach einem Segeltörn mit hohem Erlebnisfaktor, bei dem die wackeren Seemänner alle Newcomerfehler vermeiden, um nicht dem Klabautermann der Beliebigkeit anheimzufallen. Stattdessen agieren sie reif, abgeklärt, erstaunlich ausgewogen und überraschen in jedem Takt mit ziemlich riskanten Kursänderungen.

Dass sich die fünf 2009 tief im Westen an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln über den Weg liefen, mag angesichts der gemeinsamen Interessenlage noch einigermaßen nachvollziehbar erscheinen. Dass das Quintett mit Hang zur maritimen Romantik jedoch ausgerechnet im noch tieferen Süden der Republik beim „Startbahn Jazz“ in Straubing und bei der Burghausener Jazzwoche erstmals für Gesprächsstoff sorgte, verblüfft selbst Dierk Peters. „Wir hatten das Glück, dass dort einige wichtige Wettbewerbe stattfinden“, bilanziert einer der Kapitäne. Allem Anschein nach scheint ihre Instrumentalsprache selbst den Bayern die Augen und Ohren zu öffnen. In Straubing gewannen Offshore den Nachwuchspreis, während Peters in Burghausen den Solistenpreis für sein Vibrafonspiel abräumte. Obwohl der 26-Jährige zusammen mit Krahmer für alle Titel des Silberlings verantwortlich zeichnet, liegt ihm nichts ferner, als seine Ensemblekollegen zu bloßen Stichwortgebern zu degradieren.

„Die Musik ist eine Art Quersumme unserer Ideen, Stimmungen, Emotionen. Wir alle haben Gott sei Dank keine Egoprobleme. Gerade bei der schwierigen Kombination Piano/Vibrafon wissen Constantin und ich genau, wo unsere Grenzen liegen. Deshalb ist ‚Côte De Cologne‘ definitiv ein Gemeinschafts­projekt.“

Bei dem es, um in nauti­sch­en Bildern zu bleiben, keineswegs darum geht, in Sichtweite der (Mainstream-)Küste zu verharren, sondern eher darum, sich bewusst von ihr zu entfernen, unkalkulierbare Risiken einzugehen. „Wir wollen mal was probieren“, umschreibt Peters das erfrischend offene Konzept der Abenteurer, das einem tiefen inneren Kompass folgt, „und schlussendlich finden wir immer wieder zurück.“

Dierk Peters führt diese Haltung auf genau jene Hochschulausbildung zurück, die wegen der angeblichen Versachlichung des Jazz häufig in der Kritik steht. Gerade Köln sei eine „Hochburg der Freiheit“, kontert der Vibrafonist ein weiteres Vorurteil, um kurz darauf zu ergänzen: „Und ein gemachtes Nest.“ Überall finde man dort nämlich Musiker, die Bock darauf hätten, mit anderen zu spielen, es gäbe genügend Übungsräume, niemand werde gedrillt, was vor allem an den Dozenten und Professoren liege. Im Fall von Krahmer hießen diese Hubert Nuss, Frank Wunsch, Florian Ross und John Taylor. Möckels Spiel trägt die Handschrift von Wolfgang Engstfeld oder Frank Gratkowski, während Calman Koryphäen wie Keith Copeland, Michael Küttner oder Jonas Burgwinkel den letzten Schliff verpassten. Peters‘ Lehrer war Tom van Geld. Der musste nur noch die Euphorie kanalisieren, die Florian Poser bei ihm im Alter von 17 Jahren ausgelöst hatte.

„Eigentlich habe ich mich ja selber ausgebildet. Früher war ich Drummer in Constantins Band, aber ich wollte eigentlich schon immer ans Vibrafon. Nur ist so ein Ding ziemlich teuer. Irgendwann habe ich mir dann ein gebrauchtes gekauft.“

Liegt es an den hohen Anschaffungskosten, gepaart mit den leidigen Transportproblemen, dass es nach wie vor nur eine überschaubare Zahl von Vibrafonisten gibt?

„Kann gut sein“, sagt Dierk Peters, „deshalb habe ich mir auch auf meine Fahnen geschrieben, für dieses Instrument Missionars­arbeit zu leisten.“

Was auch bedeuten kann, wie Columbus in See zu stechen und auf die Suche nach unbekannten Ländern und neuen Freunden zu gehen. Na denn: Groove ahoi!

Text
Reinhard Köchl

Veröffentlicht am unter 97, Heft, Next Generation

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