Rebecca Trescher Fluxtet

Alles im Fluss

Kann es sein, dass nach mehr als 50 Alben in unserer Reihe noch eine Premiere ansteht? Ja, es stimmt: Mit einer jungen Musikerin aus Nürnberg übernimmt zum ersten Mal eine Klarinette die Leitung. Und Rebecca Trescher hat für das im Jazz wieder populäre Instrument bereits eine reife Klangsprache entwickelt, die ihresgleichen sucht. Vol. 52 präsentiert eine Musikerin mit klaren Visionen.

Rebecca Trescher Fluxtet - Nucleus (Cover)Einst verdrängte das Saxofon die Klarinette aus dem Jazzgeschehen; inzwischen ist der lebendige Sound des schlanken Instrumentes wieder en vogue, aber oft ist das schwarze Rohr lediglich als Zweitgerät zu hören. So auch in unserer Reihe, wo etliche Saxer nebenher mal zur Klarinette greifen. Bei Rebecca Trescher aber stehen Klarinette und Bassklarinette im Mittelpunkt. Doch sie nutzt die vielfältigen Klangmöglichkeiten und den gewaltigen Tonumfang behutsam – im Kontext ihrer Band Fluxtet. Dort verwendet die 27-jährige Komponistin ihr Instrument neben den Tönen von Gitarre, Saxofon, Bass und Drums als eine facettenreiche Farbenpalette für ihre Tongemälde, für eine ganz eigene Soundästhetik. Oft umkreisen Hölzer und Saiten einander, doch aus zarten und lyrischen Momenten heraus kann sich eine hypnotische Spannung herausschälen, bricht es aus in härtere Grooves, über einem trancegleichen Drone entwirft Fluxtet einen weiträumigen Soundtrack, die Gitarre schickt Querschläger und andere Geräusche in den Klangraum und es rockt.

Vor drei Jahren hat Rebecca Trescher das Quintett gegründet.

„Als Erstes stand fest, dass ich mit Gitarre arbeiten wollte statt mit Klavier. Ich hatte das Gefühl, alle Pianisten sind viel zu laut. Das ist nicht transparent. Also habe ich Phillip Staffa angesprochen. Mit Julian Bossert am Altsaxofon habe ich schon lange gerne im Duo gespielt, mein Sound und seiner verbinden sich gut. Tilman Herpichböhm hatte ich im Studium kennengelernt und den Bassisten Friedrich Betz hatte mir ein Dozent empfohlen.“

Rebecca Trescher FluxtetFluxtet, vom lateinischen „flux“ steht für die Bewegung, den Fluss der Musik und Geräusche, der Albumtitel „Nucleus“ (Double Moon/New Arts Intl.) verdeutlicht den Bausteincharakter der einzelnen Stücke, die das Album formen, den Kern. Das Spiel mit Flux setzt sich im Album fort: Eine kleine Einleitung heißt „Fluxing In“.

„Ja, das meint: Es bewegt sich etwas. Mit den kurzen Interludes wie ‚Flux 1′ will ich die einzelnen Stücke des Albums miteinander verbinden. Wir haben zuerst alle Stücke aufgenommen, und dann haben wir uns die Interludes erarbeitet. Sie sollen ein Stück abschließen und zum nächsten überleiten“,

erklärt die Komponistin, die ihre Diplomarbeit über die Stilistik von Buddy DeFranco und John Ruocco geschrieben hat.

„Ich habe für die Band relativ komplexe Stücke geschrieben, ziemlich viel ist da ausarrangiert. Natürlich gibt es immer wieder kleine Solopassagen, aber es ist keineswegs die Schiene, Leadsheet anzugucken und dann draufloszuspielen“, sagt Rebecca Trescher. „Selbstverständlich versucht jeder in der Band, seine eigene Vorstellung von Klangästhetik reinzubringen, seinen Background. Manchmal sind die Proben bei uns ganz schön anstrengend, da gibt’s durchaus mal heftige Diskussionen. Aber genau dadurch hat sich hier etwas Eigenes entwickelt, durch diese Reibungen und Konflikte sind besondere Klanggewebe entstanden.“

Manchmal schreibt sie ihren Musikern auch kleine Geschichten zu den einzelnen Kompositionen auf, Eindrücke und Gedanken zu ihren Stücken. Zuweilen erzählt Rebecca diese Geschichten auch auf Konzerten, und sie sagt, vom Publikum komme immer viel Feedback. Für „Nucleus“ aber hat sie darauf verzichtet, ihre Geschichten zu präsentieren.

Rebecca Trescher

„Man kann ja durchaus seine eigenen Assoziationen und Emotionen mit der Musik verbinden; das finde ich ja auch sehr schön. Hier möchte ich nun, dass jeder sich sein eigenes Bild macht.“

Fragt sich noch, wie die frischgebackene Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg zu ihrem Instrument gefunden hat. Ganz einfach: Dazu hat die Biographie beigetragen. Wenn der Onkel ein Musikinstrumentenbauer ist, spezialisiert auf Holzblaswerk, besonders auf Klarinette, und wenn auch der Vater Klarinette spielt, dann wundert es nicht, dass die Kinder früh infiziert sind. „Ich bin in einem Musikverein in Tübingen groß geworden, ab der dritten Klasse hab‘ ich die Klarinette gelernt“, sagt Rebecca. Ihr erstes Instrument hat sie vom Onkel bekommen. Schön, dass sie dabei geblieben ist. Und gut, dass es Musikvereine gibt.

Text
Uli Lemke

Veröffentlicht am unter 103, Heft, Next Generation

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