Sonja Huber
Relaxte Euphorie
Jazz thing Next Generation Vol. 43
Piano, Saxofon, Trompete, Orgel, Schlagzeug, Bass: Überall haben Frauen inzwischen einen Fuß in der Tür. Dass das Vibrafon zu einer der letzten reinen Männerbastionen im Jazz zählt, wusste bis dato nicht einmal Sonja Huber. Nun jedoch gerät die vielseitig begabte Deutsch-Schweizerin als aktuelle Protagonistin der „Jazz thing Next Generation“ automatisch ins Blickfeld und überzeugt auf der ganzen Linie, allen Klischees zum Trotz.
Was man Schweizern nicht so alles nachsagt. Angeblich seien sie behäbig, abwartend, zuverlässig, gewissenhaft, verschwiegen und heimatverbunden, aber durchaus am Geschehen in der restlichen Welt interessiert. Außerdem haben die allermeisten von ihnen immer genügend Geld in der Tasche oder auf der Bank. Die Deutschen hingegen gelten als pünktlich, diszipliniert, fleißig, beharrlich, aber auch humorlos. Wer bei beiden Nationalitäten Trennendes sucht, der wird vor allem Gemeinsames finden. Eine Musikerin wie Sonja Huber zum Beispiel. Die 29-Jährige lebt zwar in der idyllischen, zwischen Basel, Zürich und Bern gelegenen Kleinstadt Aarau und will dort auch nicht weg. Aber weil ihre Mutter aus einem Flecken im Landkreis Biberach in Baden-Württemberg stammt und sich einst in einen Eidgenossen verliebte, darf sie gleich zwei Nationalitäten ihr Eigen nennen.
„Im Prinzip fühle mich ja als Schweizerin, weil ich hier aufgewachsen bin“, gesteht sie ganz und gar nicht behäbig oder verschwiegen, sondern in jeder Hinsicht charmant, offen und in leicht schwyzerisch gefärbtem Deutsch. „Aber als ich mal ein Jahr in Berlin lebte und am Jazzinstitut studierte, da fand ich es schon cool, als ich meinen deutschen Pass verlängert habe und dann da drin stand: Wohnort Berlin. So gesehen gehöre ich auch ein bisschen zur EU.“
Keineswegs die einzige wichtige Mitgliedschaft für die anmutige Deutsch-Schweizerin. Mit der Veröffentlichung ihres Debütalbums William’s Garden (Double Moon/Challenge) tritt Sonja Huber offiziell dem illustren Kreis der Jazz thing Next Generation bei. Dass sie damit nun quasi den „neuen“ Jazz im deutschsprachigen Kulturraum repräsentieren soll, empfindet die junge Dame durchaus als Ehre. Das plötzliche Scheinwerferlicht verdankt sie einigen signifikanten Tugenden wie eben Disziplin, Gewissenhaftigkeit, aber vor allem Kreativität und Mut. Und zum Interview ist sie obendrein pünktlich. „Etwas anderes wäre ja auch ziemlich übel, oder?“, lacht Huber. In Time. Gerade für jemanden, der ein Instrument wie das Vibrafon bedient, eine unschätzbare Eigenschaft. Hinter dem metallenen Kasten, der bis dato fast ausschließlich starken Männern wie Gary Burton, Milt Jackson oder Red Norvo vorbehalten blieb, erlangte als Frau bislang ausschließlich die Österreicherin Vera Auer in den 50ern einen gewissen Bekanntheitsgrad. „In der Schweiz gibt es schon ein paar. Aber das hält sich tatsächlich eher in Grenzen. Manche denken gar nicht daran, dass Frauen auch Vibrafon spielen.“
Was Wunder: Als Kind hatten ihr die Eltern wie vielen anderen Gleichaltrigen zunächst Pianostunden verordnet. Doch wie ihre Schwester wollte Klein Sonja unbedingt zum örtlichen Jugendorchester. Und weil man ein Klavier schlecht bei Umzügen mitschleppen kann, durfte sie dort mal die große Pauke, mal die Tschinelle oder mal das Tamburin schlagen. „Am meisten hatte es mir jedoch das Xylofon angetan. Aber das war von einem anderen Mädchen besetzt. Also musste ich warten, bis sie 20 wurde und altersbedingt ausschied. Nur der Dirigent traute mir das damals noch nicht so ganz zu.“ Aber sie überzeugte ihn schlussendlich doch, wie später dann reihum ihre Dozenten, Kommilitonen und Mitmusiker. Mit der ihr eigenen Beharrlichkeit, einer Riesenportion Fleiß und diesem entwaffnenden Lächeln, das damals wie heute so untrennbar zu Sonja Huber gehört wie ihre Schlegel.
Ihr Geheimnis liegt in einer undogmatischen, mehrdimensionalen Sicht der Dinge. Ganz viel Schweiz, wo sie in der Jazzabteilung der Hochschule für Musik der Stadt Basel von 2003 bis 2008 Vibrafon studierte, und ein kleines bisschen Deutschland, mit den elementar wichtigen Lektionen bei David Friedman in der Hauptstadt, „ohne die sich bei mir alles wahrscheinlich ganz anders entwickelt hätte“. Anfangs Pop mit ihrer Band Chrysalis und nahezu parallel ihre persönliche Entdeckung des Jazz, auf den Weg gebracht von einem klugen Musiklehrer, der seine Gymnasiasten in Platten von Abdullah Ibrahim, Dizzy Gillespie oder Keith Jarretts „Köln Concert“ reinhören ließ. „Irgendwie fand ich das cool, diese Freiheit, die man dabei zu spüren bekam.“ Selbst wenn sie Vibrafon spielt, manövriert sie sich dabei in keine Einbahnstraße. Wie bei ihrem großen Vorbild Lionel Hampton schwingt stets die Pianistin und Schlagwerkerin durch. „Für jedes dieser Instrumente braucht man ein ausgeprägtes Rhythmus- und Harmoniegefühl.“ Best of both worlds. Und so klingt denn auch ihre musikalische Visitenkarte, auf der sie mit Bassist Martin Wyss, Schlagzeuger Daniel Bolli und vor allem E-Gitarrist Matthias Siegrist den sublimen Vibes-meets-Guitar-Sound des Dave Pike Sets anfangs der 70er-Jahre auf eine erfrischend unnostalgische Art fortschreibt. Manche verwenden dafür den Terminus „Ambient Jazz“, andere wiederum „Lounge“, was angesichts der Tiefe und des lässigen Grooves allenfalls an der Oberfläche kratzt.
Möglicherweise wäre aber auch mit Sonjas Lieblingswort „cool“ alles gesagt. Nicht keimfreier Jazz und nicht astreiner Pop, sondern etwas anderes, Übergreifendes. Relaxte Euphorie. Etwas, das auch in komplexen Situationen erstaunlich gut funktioniert. Ihr schwebendes Vibrafon baut viele Brücken. Zur federleichten Gitarre ebenso wie zur Stimme der belgischen Sängerin Eva Buchmann, mit der sie das Duo „Lottchen“ unterhält. Nach Berlin und nach Aarau. Zwischen Tradition und Moderne, „denn ich liebe sowohl alten Swing als auch das Esbjörn Svensson Trio oder Brian Blades Fellowship“. Und für ihre Geschlechtsgenossinnen, denen sie als Lehrerin für die Initiative „Women in Music“ hilft, die Frauenquote in Jazz und Pop in der Schweiz zu stärken, und die sich nun durch Sonja Huber anschicken, eine der letzten Männerbastionen in der Musikwelt einzunehmen. Eine Pionierin eben mit vielen wunderbaren Eigenschaften.