Turn

Buchstabenrätsel im Kollektiv

Ein Trio mit dem Namen „Turn“ – das kann beim Googeln ganz schön in die Irre führen: Sportgruppen und Aerobiczirkel im Kleinformat tauchen auf, die Suchmaschine spuckt eine Akkordeoncombo vom Balkan aus und verweist nebenher auf das Kingston Trio, weil es mal den Song „Turn Around“ im Programm führte. Verfeinert mit dem Filterwort Jazz schließlich findet sich der Hinweis auf ein junges Klaviertrio mit Sitz in Köln. Und da haben wir den Neuzugang in der JTNG-Reihe. Turn - Waiting For Fred (Cover)

Beim allerersten Konzert fehlte noch der Name. „Da haben wir mit einem Platzhalter improvisiert“, erzählt Jonathan Hofmeister. „Dann gab es ein paar Brainstorming Sessions. Wir waren uns schnell einig, dass es ein einziges möglichst kurzes Wort sein sollte. ‚Turn‚ – das fanden wir gut, griffig und aussagekräftig, die Idee mit dem umgekehrten R ergab sich von selbst.“

Jonathan Hofmeister ist der Pianist des Trios, aber er ist nicht der Chef. Deshalb hat er im Vorfeld bereits klargestellt, er wolle nicht alleiniger Ansprechpartner im Interview sein. Die Band hat keinen Leader, bestätigt Kontrabassist Florian Herzog. Nur Drummer Jan F. Brill fehlt im Gespräch, er musste kurzfristig absagen. Man könnte ihm ja das transkribierte Interview vorlegen, schlägt der Pianist vor und betont: „Wir entscheiden alles gemeinsam. Das ist nicht mein Trio; das ist unser Trio.“

Wie schlägt sich der Kollektivgedanke in der Arbeit der Band nieder?

„Florian und ich sind bisher die Stückeschreiber, aber das Entscheidende findet im gemeinsamen Proben, Arrangieren und Spielen statt.“ Der Bassist ergänzt: „Bei unterschiedlichen Auffassungen und Meinungen wird ganz strikt demokratisch entschieden, aber im Grunde ist das Ergebnis immer ein kollektives.“

Zwischen 24 und 29 sind die drei Musiker, die sich während des Studiums in Köln kennenlernten und vor vier Jahren ihr Trio gründeten. Man jammte miteinander, Hofmeister spielte auf Herzogs Aufnahmeprüfung Klavier, es gab jede Menge gemeinsame musikalische Interessen, kurz:

„Es war selbstverständlich, dass wir zusammenarbeiten wollten. Sicher waren wir damals ein bisschen von e.s.t. inspiriert“, befindet der Pianist. „Stimmt“, bekräftigt Bassist Florian. „Am Anfang spielte auch das Brad Mehldau Trio eine Rolle.“ Jonathan ergänzt: „Jan und ich haben viel Keith Jarrett gehört, aber wir haben immer, von Anfang an, eigene Stücke gespielt. Was uns zusammengebracht hat, ist die Art, wie wir unsere Musik gestalten. Klar, jeder hat auch seine eigenen Einflüsse, Vorbilder – die ändern sich im Lauf der Zeit. Aber die genannten bildeten damals unseren gemeinsamen Nenner.“

„Wir stehen alle drei auch auf Radiohead, oder?“, befragt Florian den Kollegen. Der bestätigt und erwähnt nebenbei noch, man habe auch viel HipHop gehört. „Man hört ganz viel Musik, und das inspiriert einen zu eigenen Ideen.“ – „Wir haben einige Stücke schon lange in unserem Repertoire, aber im Lauf der Zeit haben sie sich stets verändert, wie sich auch das Zusammenspiel verändert hat.“

Das Trio hat sein Debüt „Waiting for Fred“ (Double Moon/in-Akustik) getauft. Die Erklärung des seltsamen Titels überlassen die beiden Anwesenden einer Mailbotschaft des Schlagzeugers Jan F. Brill, über dessen zweiten Vornamen gerne gerätselt wird. Inzwischen findet man bei Turn Fredelbert prima.

„Fredelbert ist natürlich falsch“, kokettiert Jan und liefert zwei Varianten: „1. Jan F. Brill kommt sehr gerne ein wenig zu spät zu den Proben. 2. Jan Fredelbert Brill bekommt in Kürze einen Sohn. Da ist es natürlich klar, dass alle auf den kleinen Fred warten.“

TurnDer Bandname symbolisiert, wie wichtig das Prinzip der Veränderung in der Musik des Trios ist. Meistens arbeiten die drei Wahlkölner mit variablen Strukturen, in denen jeder eigene Momente einbringt, manche Kompositionen werden offen gehalten.

„Das sind auch die Stücke, die wir live am liebsten spielen, ‚Delagoe II‘ zum Beispiel, das ist ein totales Live-Ding, einer unserer Brenner“, sagt der Pianist, „eine Art Höhepunkt unseres Programms.“

Aber auch in durchkomponierten Stücken ist die Lust von Turn auf die Suche nach kleinen Freiräumen zu spüren, etwa bei dem hypnotisch rockenden „Fjäll“, einem Track mit Ohrwurm-Appeal. „Das tanzt sehr aus der Reihe“, sagt der Komponist Jonathan und verrät, dass er beim Schreiben von einem Stück Aaron Goldbergs inspiriert war. Der Ausklang des Albums – „Song For Aaron“ – ist einem anderen Pianisten gewidmet, Aaron Parks.

Auch die Auswahl der Aufnahmen und das Tracklisting hat das Trio ausgiebig diskutiert.

„Die Frage war: Was passt aufs Album? Wir haben viel nachgedacht über Zusammenhänge, Reprisen und Spannungsbögen, weshalb wir sogar Stücke geteilt und an verschiedenen Stellen des Albums neu positioniert haben.“

Ein ziemliches Stück Arbeit dürfte das gewesen sein, denn die Band hatte an den zwei Tagen, wo die Aufnahmen im Kölner Loft eingespielt wurden, „doppelt so viele Stücke aufgenommen, wie auf der CD zu hören sind – und dann auch noch von jedem gleich mehrere Takes“. Da dürfte der Klavierstimmer einiges zu tun gehabt haben.

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Text
Uli Lemke

Veröffentlicht am unter 113, Heft, Next Generation

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