Brad Mehldau

Live In Marciac

(Nonesuch/Warner)

Brad Mehldau - Live In MarciacIm Lauf der zurückliegenden 15 Jahre ist Brad Mehldau zu einer Institution am Piano geworden – den Terminus „Jazz“ sollte man dabei eher zurückhaltend verwenden. Nun, mit 40, trachtet er danach, seine glühenden Vorlieben Pop, Rock, Klassik und eben Jazz in einer Solopiano-Performance, der Königsdisziplin schlechthin, unter einen Hut zu bringen. Erster Gedanke vor dem ersten Ton der Doppel-CD/DVD vom Marciac-Jazz-Festival 2010 in der Gascogne: Hoffentlich hat er sich da mal nicht verhoben! Denn ein Umgriff von den Beatles („Martha My Dear“) über Radiohead („Exit Music“), Curt Cobain („Lithium“), Nick Drake („Things Behind The Sun“) bis zum universellen „All The Things You Are“ hat schon ganz andere Monumente ins Wanken gebracht. Niemand befreit einen unbegleiteten Solisten aus dem Dickicht der Belanglosigkeiten, keiner fängt den gnadenlosen Absturz aus dem Harmoniegerüst auf, ganz zu schweigen von der Langeweile, die sich bei der egomanischen Klavierwühlerei einstellen kann. Auch Brad begann in Marciac wie ein Suchender. Sein „Storm“ eröffnete hübsch, Triller reihte sich an Triller, es regnete Noten, aber kaum Ideen. Ganz allmählich fand der gereifte tragische Held jedoch seine Linie, konstruierte makellose Melodiebögen („Secret Love“), ließ dramatische Momente auf- und abebben, verlieh den Themen mit seiner monkischen Linken einen virilen Groove oder swingte sich untraditionell durch „Dat Dere“. Von Song zu Song gewann sein Vortrag an Qualität, Originalität und Spannung, in der Hitze der Augustnacht verdunsteten alle Genre-Trennlinien. Die verblüffende Logik des Solopianos: Es lässt sich nicht planen, sondern wächst nur in einer bestimmten Atmosphäre; mit der Wärme des Publikums und der Intuition des Protagonisten. Mehldaus organische Musikalität.

Text
Reinhard Köchl
, Jazz thing 87

Veröffentlicht am unter Reviews

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