Fred Hersch
Silent, Listening
(ECM/Universal)
Das Komma macht den Unterschied. Nicht ruhiges Zuhören, sondern: Still jetzt, und Ohren auf! Für Pianosolo eigentlich Grundvoraussetzung. Aber man kann es auch zum Exzess treiben, wie Keith Jarrett in seinen aktiven Zeiten. Wer dessen neuen Labelkollegen Fred Hersch kennt, der könnte sich mit der Hypothese aus dem Fenster lehnen, dass den 68-Jährigen wohl kein Handyklicken und kein Huster aus seinem Vortrag reißen würden. Hersch kommuniziert mit seiner Umgebung, dem Flügel, dem Publikum, der Akustik des Raumes. Deshalb wollte er unbedingt, dass Manfred Eicher sein ECM-Solodebüt in Lugano produziert, dem Ort, an dem er 2021 schon „The Song Is You“, ein Duoalbum mit dem Trompeter Enrico Rava, aufnahm. Das Resultat hebt sich signifikant vom bis dato letzten, warm-heiteren Alleingang des Pianisten, „{Open Book}“ 2017, ab. Über jedem der elf Titel schwebt eine raue, nächtliche Atmosphäre. Hersch agiert mehr im Inneren des Klaviers, bleibt aber offen für Einflüsse und Entwicklungen, forschend und frei, selbst bei Standards wie „Star-Crossed Lovers“, die er karg und geisterhaft interpretiert. Und er kalkuliert bewusst den Faktor Zufall mit ein und akzeptiert den Fluss der Dinge. Sein früheres, perfektionistisches Ich hätte damit womöglich ein Problem gehabt. Inzwischen kommt es bei ihm aber nicht mehr auf jedes Detail an. Fred Hersch 2024: Er hat sich entblößt, bietet Angriffsflächen und wirkt damit authentischer und emotionaler als je zuvor.