Iiro Rantala
Potsdam
(ACT/edel)
PRO
Iiro Rantala hat etwas Barockes. Die Welt als Theater mit dem Menschen in seiner ontologischen Geworfenheit, der die Rolle seines Lebens spielt. Diese Vanitas ist ein ernstes Ding, der man mit Humor begegnen muss. Deshalb machen Konzerte wie das von „Potsdam“ Spaß, ohne Seriosität einzubüßen. Natürlich ist Rantala ein brillanter Pianist. Seine Linke ist eine Pranke, seine Rechte das Werkzeug eines Tonjuweliers. Vor allem ist er ein Herr der Bilder. Man ahnt Bowler-Hat und Zigarre zum metrisch-mutwillig zittrigen Stride-Piano, sieht Nadelstreifen, wenn der Bop in die Musik biegt. Rantala überspitzt eigene Hits wie das fluide „Freedom“ mit stellenweise pumpender Wucht oder der mechanistischen Trockenheit des präparierten Saitensounds. Und wenn überhaupt ein anderer Komponist ins Programm passt, dann Leonard Bernstein, auch er ein Schelm der Moderne.
Ralf Dombrowski
KONTRA
Iiro Rantala verrät Virtuosität, Spielwitz und Kenntnisse der Jazzgeschichte. Genau das ist aber sein Problem. Nicht nur das des Finnen, sondern großer Teil der Jazz-Community. Man zieht sich in eine Blase selbstvergessenen Schönklangs zurück, ersetzt Inhalt durch Form, lässt die Welt draußen und erfreut sich an dem schnell gefundenen gemeinsamen Nenner. Wir unter uns, was geht uns der Rest an? Sicher, Jazz wird die Probleme der Welt nicht lösen, dafür hat er in den letzten Jahrzehnten viel zu viel von seiner Breitenwirkung eingebüßt. Doch ein Album wie „Potsdam“ ist Hedonismus in Reinkultur. Ein Hauch Risikobereitschaft, ein My Herausforderung, der Ansatz einer Idee, mehr kommunizieren zu wollen als einfach nur sich selbst, der Keim eines Gefühls von Teilhabe … Nichts von alledem ist zu spüren. Gott erhalte Iiro Rantala seine in Musik gegossene Glückseligkeit.
Wolf Kampmann