John Coltrane

Both Directions At Once (The Lost Album)

(Impulse!/Universal)

John Coltrane – Both Directions At Once (The Lost Album) (Cover)So angetan war der Produzent Bob Thiele von John Coltranes „klassischem“ Quartett, dass er die Band so häufig wie möglich ins Studio holte – oft sogar heimlich in der Nacht. Zur Sicherheit bekam Coltrane Bandkopien mit nach Hause, so auch am 6. März 1963, einen Tag vor seinen Aufnahmen mit dem Sänger Johnny Hartman. Dumm nur, dass es damals zwischen Trane und seiner ersten Ehefrau Juanita (Naima) nicht mehr so gut lief. Wenige Wochen später nämlich zog der Saxofonist aus dem gemeinsamen Haus aus, die Bandkopie vom 6. März geriet in Vergessenheit. Nun aber sind die Aufnahmen wieder aufgetaucht, die Medien sind darüber schier durchgedreht: Mit „Beethovens Zehnter“ und sogar dem „Heiligen Gral“ wurde der Spätfund verglichen. Ein wenig nüchterner betrachtet: Vier der sieben Kompositionen liegen auf anderen Coltrane-Platten bereits vor, teilweise in deutlich reiferen Versionen. Die drei übrigen Stücke immerhin sind unbekannte, namenlos gebliebene Originals – ein schneller, modal aufgefasster Sopransax-Blues („11383″), ein weiteres schnelles Stück mit Sopran, aber ambitionierter gebaut („11386″), und ein langsamer 11-Minuten-Blues fürs Tenor, frech avantgardistisch verfremdet („Slow Blues“). Es macht große Freude, diese vier Könner mit unverbrauchten Tönen und Läufen zu hören, ihre frische, souveräne Direktheit im Musizieren, die heute im Jazz so gar nicht mehr möglich zu sein scheint. Die Jazzbücher aber muss man deswegen nicht gleich umschreiben.

Text
Hans-Jürgen Schaal
, Jazz thing 125

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