Marius Neset
A New Dawn
(ACT/edel)
Vergleiche mit Bach sind meistens verfehlt: falscher Maßstab, falsche Kategorie, falsche Ästhetik. Und doch mag es an der klingenden Oberfläche Überschneidungen geben, beispielsweise wenn man „A New Dawn“ hört, das Soloalbum, mit dem der Tenorsaxofonist Marius Neset die Erfahrung von Zwangseinsamkeit und Zurückgezogenheit im ersten Jahr der Pandemie reflektiert und die Form des Solo-Rezitals kaum zu überhörende Gemeinsamkeiten mit den Bach’schen Cellosuiten hervorbringt. Die gemeinsame Basis liegt in der makellosen Könnerschaft, die das Soloformat erfordert, in verblüffend trennscharf gesetzter Mehrstimmigkeit, kunstvoll mäandernden Arpeggioketten, in quartzuhrfestem Timing und der Fähigkeit, in der stetigen Bewegung der Töne, weich geschwungene Melodien zum Atmen zu bringen. Es ist ein kleines, feines und sehr reichhaltiges Wunder, das Neset hier vollbringt, der Schimmer eines neuen Morgens, voller Sehnsüchte, Verheißungen und Möglichkeiten.