Nik Bärtsch's Ronin
Live
(ECM/Universal)
Im Studio gibt es keinen entscheidenden Moment, auch nicht im Jazz, wo das Meiste angeblich „First Take“ passiert. Selbst das Bewusstsein, etwas im Nachhinein reparieren zu können, beeinflusst die Musiker unterbewusst. Live dagegen fehlt dieses Netz. Risiko! Du kannst unbeschreibliche Triumphe einfahren und nach allen Regeln der Kunst scheitern. Dazwischen liegen oft nur ein paar Töne. Und auf das Publikum kommt es an. „Die Japaner“, sagt Nik Bärtsch zum Beispiel, „besitzen eine Kultur des Wartens.“ Was genau der Musik von Ronin entgegenkommt, die sich ganz langsam entfaltet. In Tokio entstand die Liveaufnahme für „Modul 17″, und in der Tat nimmt sich das Stück alle Zeit, bezieht das Publikum mit ein, erhebt sich im kaum wahrnehmbaren Super-Slowmo-Tempo. Andere Module der Doppel-CD kreiseln, rotieren, atmen hektisch, entwickeln eine zentrifugale Kraft und generieren einen aktiven Trancezustand. Sie alle entstanden zwischen 2009 und 2011 auf dem Enjoy-Jazz-Festival in Mannheim, bei den Leipziger Jazztagen und JazzBaltica, im Amsterdamer Bimhuis, dem Wiener Radiokulturhaus, im Lörracher Burghof sowie im The Sage in Gateshead. Mal kreischen die Leute, mal schweigen sie, scheinbar meditativ abgetaucht in den Strudel der Musik. Selbst scheinbar Bekanntes aus den Alben „Stoa“, „Holon“ und „Llyra“ klingt ungewohnt, versehen mit einer überraschenden Farbgebung, infiziert durch die jeweilige Umgebung. Das Risiko hat der Schweizer Pianist freilich minimiert. Aus 50 aufgezeichneten Gigs wählte er zusammen mit Manfred Eicher die besten aus, um eine Art akustische Kontinuität zu erzielen. Das Zusammenstellen von Musik als kreativer Prozess. So gesehen ist „Live“ mehr als nur ein faszinierendes Dokument einer der vitalsten Formationen des neuen Jazz.