Roscoe Mitchell
Bells For The South Side
(ECM/Universal)
Die Avantgarde im Jahr 2017: ein Anachronismus per se. Viele der Helden von damals sind längst in Vergessenheit geraten, ihre Klangschöpfungen werden im Easy-listening-Zeitalter nur noch auf ihre schwer konsumierbare musikalische Substanz reduziert. Gerade deshalb erscheint ein Werk wie „Bells For The South Side“ wie ein schwarzer Monolith in einer leergefegten Landschaft und dessen Urheber Roscoe Mitchell wie der letzte aufrechte Kämpfer für die künstlerische Freiheit. Der Multiinstrumentalist wagte anlässlich des 50. Geburtstags der AACM ein Abenteuer, dessen Ausgang niemand vorhersehen konnte. Mit 76 kombinierte und kontrastierte Mitchell die Sounds und Charaktere seiner vier Trios. Pianisten wie Craig Taborn und Tyshawn Sorey, Hugh Ragin (Trompete), James Fei (Saxofone) und andere bewegen sich frei improvisierend in einem Raum ohne Wände und Türen. Dabei klingelt, läutet oder klopft es pausenlos. Glocken, Cymbals oder Holzblöcke reflektieren die zwölf erratischen Themen der Doppel-CD und erheben sie zu einem dreidimensionalen, fast symphonischen Hörerlebnis.