Vijay Iyer
Mutations
(ECM/Universal)
Pro
Nach seinen inspirierten Trioalben finden wir den New Yorker Grenzgänger Vijay Iyer wieder im Zenit seiner konzeptionellen Kraft als Klangdenker. Anders als bei seiner Band Fieldworks bevorzugt der Pianist auf „Mutations“ die leisen Töne. Er vermittelt zwischen dezenter Elektronik, Jazz-Pianissimo und klassischem Streichquartett, ohne dass er einer dieser drei Komponenten den Vorzug geben würde. Neben den drei genannten Aspekten kommt als vierte Größe der Zwischenraum hinzu. „Mutations“ ist ein überaus passender Titel, denn wir können jedem einzelnen Ton dabei zuhören, wie er sich entwickelt, wie er wird, ist, bleibt und vergeht. Dem Ohr wird Gelegenheit gegeben, sich anzunähern und zu entfernen. Wie unter einem Mikroskop offenbart Iyers Musik hier immer wieder neue Schattierungen und Perspektiven.
Wolf Kampmann
Kontra
Nun war Vijay Iyer nicht als Fürsprecher emotionalen Überschwangs bekannt, sondern neigte dazu, Musik als Reflexion über Kultursymbiosen auf der Basis ins Leben verlängerter Abstraktion zu verstehen. Aber er arbeitete als Pianist an vorderster Front an seinen Experimenten. „Mutations“ hingegen gibt ihm die Möglichkeit, Kammermusik für Streichquartett aufzunehmen und sich mehr als Komponist und Strukturdenker denn als Solist zu präsentieren. Dadurch nimmt der Grad der Durchformung des Materials zu und Iyer tritt hinter die Musik zurück. Als Komponist ist er so sehr auf der Suche, dass die zehn Episoden von „Mutations“ sich in Avantgardismen verlieren. Vorlagen scheinen durch die Musik hindurch – Glass, Reich, Hindemith. Bisherige Bezüge auf seine amerikanisch-indische Wurzeln hingegen werden zur Randständigkeit sublimiert.
Ralf Dombrowski