Ins Risiko gehen!
[13.4.2020]
In Köln ist das gesellschaftliche Leben fast vollständig zum Erliegen gekommen. Wie andernorts auch hat man sich in der Rheinmetropole dem Diktat der Politik ergeben, der sich exponentiell ausbreitenden Corona-Pandemie mit teils drastischen Maßnahmen wie Kontaktsperre, sozialer Distanz oder Veranstaltungsverboten Herr zu werden. Davon betroffen ist nicht nur Kölns ansonsten so quirlig-buntes Nachtleben, sondern natürlich auch die vitale Kulturszene mit ihren vielen Museen, der Philharmonie oder den größeren und kleineren Musikclubs.
Köln ist auch eine Jazzstadt, die auf eine Jahrzehnte zurückreichende Geschichte der improvisierten Musik blicken kann. Mit der Jazzabteilung der Hochschule für Musik und Tanz hat eine renommierte Ausbildungsstätte ihren Sitz in Köln und mit dem Stadtgarten, der seit gut drei Jahren durch das Land NRW und die Stadt Köln als „Europäisches Zentrum für Jazz und aktuelle Musik“ mit einer hohen sechsstelligen Summe gefördert wird, ist ein international bedeutender Konzertsaal in der Stadt ansässig.
„Wir folgen der Empfehlung der Bundesregierung und der Länder vom heutigen Donnerstag, dem 12. März 2020, 21:00 Uhr, alle ,nicht notwendigen‘ Veranstaltungen abzusagen“, ist seit fast vier Wochen auf der Website des Kölner Stadtgartens zu lesen. Mit mehr oder weniger gleichem Wortlaut informieren auch die anderen Kölner Jazzsclubs ihr Publikum; das Loft in Ehrenfeld ebenso wie das erst im vergangenen September eröffnete King Georg am Ebertplatz oder das Alte Pfandhaus in der Südstadt.
Dem Stadtgarten gehe es im Vergleich noch ganz gut, betont der künstlerische Leiter dieser 1986 von der Initiative Kölner Jazz Haus auf den Weg gebrachten Spielstätte, Reiner Michalke. „Finanziell sind wir momentan ganz gut aufgestellt und können die Zeit des Lockdown überbrücken. Die festangestellten Mitarbeiter haben wir in Kurzarbeit geschickt, für die freien Honorarkräfte übernehmen wir 60 Prozent ihrer Umsatzeinbußen.“ Dennoch rechne man damit, dass der Konzertbetrieb auch den Mai über ausgesetzt bleibe, so Michalke.
Nicht anders ist die Situation für die Konzertveranstalter im Rest von Nordrhein-Westfalen. „Das letzte Konzert der laufenden Spielzeit in der Jazz-Schmiede ist noch für Ende Mai terminiert. Ich gehe aber davon aus, dass wir vor der Sommerpause nicht mehr wiedereröffnen werden“, sagt beispielsweise der Düsseldorfer Schlagzeuger und Programmleiter der Jazz-Schmiede, Peter Weiss.
Auch in Krefeld wurde man vom Veranstaltungsverbot kalt erwischt. „Im Vorstand haben wir anfangs darüber diskutiert, doch noch so lange wie möglich den Konzertbetrieb aufrecht zu erhalten“, so der Vorsitzende des Jazzklubs Krefeld, Florian Funke. „Dann haben wir uns der Realität gestellt und vorerst alle Konzerte abgesagt oder auf einen späteren Termin verschoben. Unser letztes Konzert vor dem Lockdown war das mit Frederik Köster/Die Verwandlung im Jazzkeller Krefeld am 12. März.“
Neben dem Kölner Stadtgarten ist das Domicil in Dortmund die zweite Jazz-Spielstätte in Nordrhein-Westfalen von internationaler Bedeutung. Waldo Riedl, Geschäftsführer und Programmleiter des Domicil, saß am 12. März bei einem Konzert im Publikum, als er die Nachricht vom bevorstehenden Lockdown und dem Verbot von öffentlichen Veranstaltungen erhielt. Nachdem er sich mit anderen, durch die Stadt Dortmund geförderten, soziokulturellen Zentren kurzgeschlossen und zudem Gespräche mit dem Kulturbüro und dem Kulturdezernenten geführt hatte, entschloss er sich als eine der ersten Maßnahmen, Anträge auf Kurzarbeit zu stellen.
„Niemand von uns hat bislang mit Kurzarbeit zu tun gehabt“, sagt Riedl. „Aber dadurch, dass wir unsere festangestellten Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken konnten, ließen sich die Betriebskosten soweit senken, dass wir die Hoffnung haben, den Lockdown mit dem Konzertverbot weitestgehend unbeschadet zu überstehen.“ Aber auch Riedl geht davon aus, dass das Konzert zur Eröffnung der Spielzeit 2020/21 am 30. September das erste reguläre im Domicil sein wird.
Am Schärfsten vom Lockdown betroffen sind indes die vielen (Jazz-)Musiker*innen im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW. Weil sprichwörtlich von einem Tag auf den nächsten sämtliche Konzerttourneen und Festivals bis mindestens Ende Mai abgesagt wurden, stand das Gros dieser Musiker*innen urplötzlich vor dem Nichts. Glücklich waren diejenigen, die zuvor schon als freie Honorarkräfte (wenige als Festangestellte) an den vielen Musikschulen unterrichten konnten, um eine Basis für ihren Lebensunterhalt zu haben, manche hatten sogar Rücklagen bilden können. Doch die wirklich freischaffenden Künstler*innen im Land hatten Anfangs keinerlei Perspektive, wie sie im Lockdown ihr Leben bestreiten können.
Die Bundesregierung in Berlin hat Mitte März in kürzester Zeit eine Corona-Soforthilfe auf den Weg gebracht, um mit einer Summe von rund 50 Milliarden (sic!) Euro die schärfsten Folgen des Lockdown für die Wirtschaft abzufedern. Dezidiert wurden darin auch Soloselbstständige und Kleinstunternehmer*innen angesprochen – wie es viele Künstler*innen ja tatsächlich sind. Die Verteilung dieser Hilfsgelder obliegt den Ländern.
Wer hätte noch Anfang März geglaubt, dass auch und gerade in NRW eine Corona-Soforthilfe ihren Namen verdient? Zumindest bis Monatsende lagen in der Regel zwischen Antragsstellung und Bewilligungsbescheid nur wenige Stunden, spätestens drei Tage danach war das Geld aus der Corona-Soforthilfe auf dem Konto.
Damit ist vorerst Schluss. Der auch für viele Jazzmusiker*innen maßgebliche Passus über die „Lebenshaltungskosten“ wurde in NRW aus dem Kriterienkatalog gestrichen[1]. Seitdem wurde das Tempo, mit dem zuvor die Hilfe bewilligt worden war, stark gedrosselt. „Kann denn niemand in der Politik klipp und klar sagen, nach welchen Kriterien ich als Künstlerin Soforthilfe beantragen darf?“, fragte daraufhin empört eine Kölner Jazzsängerin auf ihrer Facebook-Seite.
Im Südwesten Deutschlands ist man vorgeprescht und hat Tatsachen geschaffen. „Baden-Württemberg hat sich bei der Ausgestaltung des Corona-Soforthilfe-Programms für seinen eigenen Weg entschieden“, wird die Kunststaatssekretärin Petra Olschowski in einer Pressemitteilung vom 8. April zitiert. „Soloselbstständige können in Baden-Württemberg weiterhin auch pauschalierte Kosten des privaten Lebensunterhalts in Höhe von 1.180 Euro pro Monat geltend machen. Das ist eine großartige Nachricht für alle Künstlerinnen, Künstler und Kreative sowie die Kleinunternehmen im Land.“
Inwieweit die anderen Bundesländer dem Beispiel Baden-Württembergs folgen werden, ist allerdings noch offen.
[1] Zurzeit ist die Antragsstellung ganz gestoppt worden, heißt es aus der Landesregierung in Düsseldorf: „Nach ersten Erkenntnissen des LKA wurden Fake-Formulare im Zusammenhang mit der NRW-Soforthilfe 2020 genutzt, um Daten abzugreifen und möglicherweise für kriminelle Machenschaften zu verwenden.“